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seliger-online 15.04.2024

Veröffentlicht am 20.04.2024 in Allgemein

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Europa vor den Wahlen.
Sozialdemokratie FÜR EUROPA – Wir werden gebraucht! Was bewegt uns in Deutschland, in Tschechien und Österreich?

 

Zum zweiten seliger-online-Termin des Jahres am 15. April 2024 und zu den anstehenden Wahlen zum Europaparlament konnte mit Maria Noichl MdEP genau die richtige Gesprächspartnerin gefunden werden.

 

Europa wählt im Juni 2024. Nur selten fanden Europawahlen zu Zeiten solch großer Herausforderungen statt. Der Krieg in der Ukraine, steigende Energiekosten, der klimagerechte Umbau der europäischen Wirtschaft, Migration und nicht zuletzt der zunehmende Populismus und Rechtsextremismus, der die Rückkehr zu konkurrierenden Nationalstaaten propagiert, Presse- und Meinungsfreiheit bekämpft, die unabhängige Justiz, rechtsstaatliche Prinzipien und den Schutz von Minderheuten aushöhlt, fordern uns mehr denn je.  Unsere Demokratie scheint zusehends in Bedrängnis zu sein. Dabei ist aber auch klar: die Antwort auf all diese großen Herausforderungen ist nicht weniger Europa, sondern mehr Europa!

Das Gespräch moderierte Christa Naaß, Bundesvorsitzende der Seliger-Gemeinde und wollte u.a. von Maria Noichl folgende Fragen beantwortet haben: Wie schaut eine gute sozialdemokratische Politik für Europa aus? Mit welchen Kernthemen sollen Wählerinnen und Wähler angesprochen werden?

Christa Naaß konnte neben rund 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmern die bayerische Europaabgeordneten Maria Noichl begrüßen. Maria Noichl (57) kommt aus Rosenheim ist seit 2014 Mitglied des Europäischen Parlaments und dort seither in den Fachausschüssen für Landwirtschaft und Ländliche Entwicklung (AGRI) sowie für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter (FEMM). Auch bei der anstehenden Wahl ist sie Spitzenkandidatin der bayerischen SPD, Bundesvorsitzende der SPD-Frauen und Vorsitzende des Deutschen Verbands für Landschaftspflege – und eine begeisternde Politikerin, wie die Zuhörerschaft schnell feststellte. Für sie sei es ein „Privileg und ein Geschenk“ im Europa-Parlament die Interessen ihrer Wählerinnen und Wähler zu vertreten, so Maria Noichl in ihrem Eingangsstatement.

Die anstehende Europawahl bezeichnete Christa Naaß als "Schicksalswahl für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte, gerade im Hinblick auf die aktuellen Krisen und die Erstarkung der Rechtsextremen in ganz Europa". Maria Noichl griff diese Vorlage auf und erklärte, dass es ihr Sorgen bereite, dass der Europäische Rat der Mitgliedsstaaten nach rechts kippe. „Unter den neuen Kommissaren werden wohl nur noch drei von 27 Sozialdemokraten sein, alle anderen sind schwarzbraun, braun wird damit regierungsfähig!“, so Noichl. Was dies bedeutet, zeigte Noichl am Beispiel der Migrationspolitik auf: Das EU-Parlament etwa sei bislang mehrheitlich für eine Flüchtlingsverteilung – "nach Kraft der Mitgliedsstaaten". Der Rat aber habe sich dagegen ausgesprochen. Die Folge sei, wer auf die EU warte, könne hier, wegen der Mehrheitsverhältnisse "ewig warten".

Christa Naaß erklärte, dass die Seliger-Gemeinde und die Sozialdemokratie in Europa dafür Sorge zu tragen habe, dass die Wählerinnen und Wähler zu den Europa-Wahlen informiert und Lösungsvorschläge zu den aktuellen Problemfeldern dargestellt werden. Die Spitzenkandidatin der SPD, Katarina Barley, sei dabei ein Garant für Rechtstaatlichkeit, Menschenrechte und Demokratie, und setze klare Kanten“, ergänzte dazu Maria Noichl.

Polen – das europäische Labor

Maria Noichl berichtete eingangs von ihrem Besuch in Polen vor zwei Wochen. 100 Tage nach der Wahl habe man Polen neu kennengelernt und festgestellt, dass Polen zurück in Europa sei – und Europa zurück in Polen! Man könne das Land derzeit als europäisches Labor bezeichnen, da nach acht Jahren rechtsnationaler PiS-Regierung die Demokratie zurückgeholt werden müsse. „Doch wie geht das? Auf jeden Fall nicht im Hauruck-Verfahren, sondern nur rechtlich korrekt. Das brauche Zeit!“, so Maria Noichl. In Polen gäben sich derzeit alle möglichen Delegationen aus aller Welt die Klinke in die Hand, so groß sei das Interesse am praktischen Zurückholen der Demokratie. Ein Weg sei die Besetzung aller Ministerien mit allen Teilen der Koalition, wie die Polen das gerade handhaben. Die Sozialdemokraten hätten zwar nur 8 Prozent bekommen, werden so aber in allen wichtigen Belangen gehört. Gegenüber Ungarn ist in dieser Sache die Sorge groß, dass der Prozess der Demontage der demokratischen Strukturen nicht mehr rückgängig gemacht werden könne. Ein wichtiger Punkt sei dabei die Übernahme der Pressehoheit, was in Ungarn sofortpassierte, geschah in Polen später. In beiden Ländern sei das starke Stadt (=demokratisch)-Land (=nationalistisch) -Gefälle zu beachten sowie die antieuropäisch Haltung der Kirche. „Die beiden deutschen Kirchen erklärten unisono: Christen können keine AfD-Wähler sein“, zeigte sich Noichl in diesem Zusammenhang beruhigt. „Wie wir sehen, ist nichts selbstverständlich. Kräfte von rechtsaußen in vielen europäischen Ländern bedrohen die Europäische Union. Jetzt geht es darum, die EU zu schützen und noch besser zu machen“, so Noichl weiter.

Eine Frage müsse sich Deutschland derzeit stellen: Der Begriff „Gemeinnützigkeit“ bedeute Überparteilichkeit, d.h. über alle Parteien hinweg! Damit wären Wahlempfehlungen von Vereinen oder Verbänden gegen die AfD rechtlich problematisch, wenn eine Gemeinnützigkeit damit gefährdet sei, so Noichl.

„Kurshalten, nicht käuflich sein, keine Angst haben!“

Im weiteren Zusammenhang erklärte Noichl, dass die EVP-Brandmauer gegen RECHTS bröckele. Z.B. würden derzeit Wahlgeschenke an die Landwirtschaft vergeben, motiviert durch die radikalen Bauernproteste. Hier und bei anderen Themen plane die konservative EVP rechte Stimmen bei den Abstimmungen mit ein. Deren Anbiederung nach rechtsaußen sei für Noichl eine Schande für Deutschland und eine Gefahr für Europa. Das Gegenmittel der Sozialdemokratie laute: „Kurshalten, nicht käuflich sein, keine Angst haben!“ Genau jenes Soziale Europa, für das die SPD seit 160 Jahren kämpft, ist Zielscheibe der extremen Rechten. Sie wollen den Sozialstaat schleifen und die Umverteilung nach oben durchsetzen. Ihre Hauptziele sind das Ausschalten der Opposition, das Gleichschalten der Justiz, das Vernichten von Frauenrechten und das Verbreiten von Hass und Angst.

„2024 muss als europäische „Demokratie - Wahl“ in die Geschichte eingehen!“, so Noichl in ihrer ambitionierten Darstellung.  Die Bürgerinnen und Bürger müssten sich für Parteien aussprechen, die die Demokratie wahren und nicht abschaffen wollten. „Wir müssen mit aller Kraft den Faschistinnen und Faschisten die Stirn bieten und unsere Demokratie verteidigen“, erklärte Noichl.

Die Lage der SOCDEM in Tschechien

In einem kurzen Einwurf erklärte unser Mitglied Libor Rouček, ehemals Vizepräsident des Europa-Parlaments, die Lage in der Tschechischen Republik. „Die SOCDEM startete am Samstag ihren Europawahlkampf!“ Mit dabei Libor Rouček und Vladimir Špidla, die sich wieder bereit erklärten zu kandidieren, um die Partei zu retten. In Tschechien gelte, anders als in Deutschland, die 5% Hürde auch bei der Europawahl. Die Wahlbeteiligung ab 16 hatten die Konservativen abgelehnt. Dafür habe die SOCDEM zehn von 21 Kandidaten unter 35 Jahren aufgestellt. Laut Libors Einschätzung werde die Europawahl für Wahl für Sozialdemokratie so „lala ausgehen. Sie werde ihre Stärke im Europa-Parlament halten können und 2. stärkste Gruppe bleiben, wenn die Rechten weiter uneins und gespalten auftreten“. Die EVP bliebe zwar stärkste Gruppe, aber mit den größten Verlusten – deshalb kokettierten sie mehr und mehr mit rechts. Wo in Polen weiterhin viele antideutsche, pro russische Tendenzen zu beobachten seien, sei dies in Tschechien kein Thema mehr!

Die Solwakei und die S&D und die Fairness

Reinhold Strobl wollte die Einschätzung zur Slowakei wissen und wie die Sozialdemokratische Fraktion im Europäischen Parlament (S&D) und den „Sozialdemokraten“ von Fico und Pellegrini stünden – „Das sind doch Faschisten in Rot“, so Strobl. Brüssel. Nach der Wahl von Peter Pellegrini zum neuen Präsidenten der Slowakei wachse zwar die Sorge vor einer Abkehr des Landes von der EU und einer Annäherung an Russland, so Noichl, gleichzeitig sei die Slowakei jedoch wirtschaftlich so stark von anderen europäischen Ländern abhängig, dass sie sich eine Abkopplung von der EU nicht leisten könne. Man beobachte das genauestens. In diesem Zusammenhang erklärte Maria Noichl, dass in der Parteienfamilie der S&D es ein breiteres Spektrum von Meinungen gebe als im Bayerischen Landtag. So seien die Sozialdemokraten in Spanien erzsozialistisch, hätten aber einen rechten Einwandererkurs gefahren der ihnen bei der Wahl 35% gebracht habe. Außerdem sei die Scheinheiligkeit bei der Fairness in Sachen Migration bezeichnend: Man sei gegen Migration, dulde aber illegale Einwanderer bei der Obst- und Gemüseernte. Doch hier sei Europa allgemein gefragt: Ein Beispiel: Marokko dürfe zwar Orangen nach Deutschland liefern, aber keinen Orangensaft. Die Wertschöpfung bei der Veredelung der Orangen bleibt dabei in Deutschland. „Erst wenn es Orangensaftfabriken in Marokko gibt, kann man von einem fairen Handel reden!“ so Noichl. „Dabei müsse man aber immer im Auge behalten, dass es die S&D ist, die für Arbeit, Frieden, Kompromisse, Menschenwürde und gegen Armut steht. Die Sozialdemokratie ist das ausgleichende und verbindende Element im Parlament!“

Wahlalter 16

Am 9. Juni 2024 werden rund 350 Millionen Menschen in Europa an die Wahlurnen gerufen. Zum ersten Mal werden in Deutschland bereits 16-Jährige volle Verantwortung für Europa übernehmen können. Das bedeute, so Noichl, dass es dieses Jahr sieben Jahrgänge gäbe, die erstmals zu Wahl gehen dürften. Mit dem Luxemburger Jean Asselborn, der besonders bei jungen Leuten gut ankäme, würde die Kampagne zur Motivation der Jugendlichen in München starten. Zukunft Demokratie, Zukunft Klimaschutz und Zukunft Vielfalt wären die Botschaften und spezielle Veranstaltungen für Jugendliche und Erst-Wählerbriefe die Kommunikationsstrategien. Dabei setzt die SPD auf eine Bundesliste, mit dem Ziel einer transnationalen Liste in Zukunft – entgegen einer CSU- Landesliste, die kleingeistig und regional aber keines falls europäisch anmute, so Noichl.

Noichl stimmte die Zuhörerinnen und Zuhörer auf einen engagierten Europawahlkampf ein. Die Sozialdemokratie werde gebraucht – für ein Europa, das auch in Zukunft für Frieden und Zusammenhalt steht. Ein Europa, das in der Lage ist, die großen Herausforderungen unserer Zeit gemeinsam anzugehen. Sie gab noch zu bedenken, dass mehr Frauen als Männer bei der Europawahl wählen gingen, bei einem Rechtsruck aber zuerst Frauenrechte eingeschränkt würden

In der anschließenden Diskussion ging es u.a. um einen eventuellen Wahlsieg Trumps, die europäische Verteidigung und den europäischen Verband für Landschaftspflege.

In der anschließenden Abendschule zu den Grundlagen der Geschichte der sudetendeutschen Sozialdemokratie erinnerte Dr. Thomas Oellermann an die Fallschirmmission sudetendeutscher Sozialdemokraten von vor 80 Jahren.

Diese seliger-online-Veranstaltung wird als Video auf unserem YOUTUBE-Kanal zur Verfügung gestellt. Auch die anschließende Abendschule kann jederzeit als Podcast nachgehört werden.

Die Veranstaltung fand mit großzügiger Unterstützung des Bundesministeriums des Innern und für Heimat aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages statt.

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