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seliger-online 11.07.2022

Veröffentlicht am 14.07.2022 in Allgemein

Am 1. Juli übernahm die Tschechische Republik die EU-Ratspräsidentschaft und sie tat dies in politisch äußerst unruhigen Zeiten. Der Krieg in der Ukraine und die hieraus resultierenden Probleme bei der Versorgung mit Energie und Lebensmitteln ist dabei nur eine der großen Herausforderungen. Als Gesprächspartner für die seliger-online-Veranstaltung am 11. Juli 2022 konnten wir Libor Rouček, den Ko-Vorsitzenden des Deutsch-Tschechischen Gesprächsforums und ehemaligen Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments, gewinnen. Das Gespräch, an dem wiederum knapp 20 Personen teilnahmen, wurde moderiert von Christa Naaß, Stellvertreterin des Bezirkstagspräsidenten beim Bezirk Mittelfranken und Präsidiumsmitglied der Seliger-Gemeinde.

Naaß erläuterte, dass 2022 ein besonderes Gedenkjahr in Bezug auf die deutsch-tschechischen Beziehungen sei, denn vor 30 Jahren schloss die Bundesrepublik Deutschland mit der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik einen Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit, vor 25 Jahren sei die deutsch-tschechische Erklärung verabschiedet worden und am 1. Juli 2022 habe die Tschechische Republik die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Libor Rouček sei in allen diesen drei Ereignissen involviert gewesen und könne somit zurückblicken und auch über die aktuellen deutsch-tschechischen Beziehungen berichten. Rouček sei außerdem Berater des tschechischen Europaministers Mikuláš Bek im Hinblick auf die EU-Ratspräsidentschaft und könne hierzu informieren.

Libor Rouček erklärte anfangs seiner Ausführungen, dass es ein großer Fehler der Sozialdemokratie gewesen sei, dass Jiří Paroubek und die Sozialdemokraten gerade während der letzten Ratspräsidentschaft der Tschechischen Republik vor 13 Jahren die Regierung Topolánek gestürzt hatten. Nun habe auch die ČSSD erkannt, dass sie sich damit selbst und dem Ansehen der Tschechischen Republik geschadet habe. Für den deutsch-tschechoslowakischen Vertrag habe er 1992 in einem Artikel aus dem Londoner Exil geworben, so Rouček, weil auch innerhalb der tschechischen Sozialdemokratie noch Stimmen dagegen zu hören waren. Wie die Gesellschaft, war auch die ČSSD noch nicht so weit wie Präsident Václav Havel, der 1990 die Themen Vertreibung und Nachkriegssituation eröffnet hatte. Fehlendes Wissen und Unsicherheit, ja Angst vor dem „großen, wiedervereinigten Deutschland“ seien die Ursachen gewesen. So ginge es aber auch den Polen und sogar Margret Thatcher in Großbritannien. 1997 hätte es eine ähnliche Situation gegeben. Obwohl die Themen schon erörtert waren, hatten vor allem die Älteren, auch in der Sozialdemokratie, Bedenken. Den Dialog mit Berlin fand man gut, aber mit München und mit den Sudetendeutschen wollte man sich noch nicht einlassen. Die bestehenden Vorurteile mussten erst noch Schritt für Schritt beseitigt werden.

Wir haben uns kennen und verstehen gelernt

So nun, weitere 25 Jahre später, sei die Situation ganz anders, bekräftigte Rouček. Hunderttausende, ja Millionen Tschechen und Deutsche hätten im Urlaub oder durch die Arbeit einander kennen und verstehen gelernt, was für die deutsch-tschechischen Beziehungen sehr positiv sei. Die Politik, auch die neue tschechische Regierung, kümmere sich nun sehr darum.

Trotz regelmäßiger Kontakte z.B. zwischen Europaminister Mikuláš Bek und Volksgruppensprecher Posselt gebe es aber immer noch das Tabu, den Sudetendeutschen Tag in Tschechien zu veranstalten. Die Angst der Regierung, egal welcher Colour, vor den Populisten sei zu groß. Es gebe immer noch Gruppen am linken und rechten Rand, „die diese Karte spielen wollen“, so Rouček, der deren Anteil in der Bevölkerung auf ca. 20 Prozent schätzt. Auf Regierungs- und kommunaler Ebene sei die Zusammenarbeit jedoch sehr gut. „Nun, da man in Putin einen gemeinsamen Feind“ und die gleichen Probleme mit der Energiesicherheit und den Flüchtlingen habe, sähen immer mehr Menschen, dass man diese nur gemeinsam als Nachbarn und in der EU lösen könne.

Themen der Ratspräsidentschaft: Ukraine, Energieversorgung, Flüchtlinge, Inflation, Rechtsstaatlichekit und Demokratie

Damit wäre man auch bei den Hauptthemen der EU-Ratspräsidentschaft, so Libor Rouček. Die Unterstützung der Ukraine während und nach dem Krieg, die Energiesicherheit, vor allem die Versorgung mit Gas wurden genannt. Hier treffe es Deutschland, Tschechien, Ungarn und die Slowakei besonders hart und man müsse Zusammenarbeit und Solidarität von den Ländern einfordern, deren Energieversorgung gesichert sei. Dazu kommen natürlich die Nahrungssicherheit und die Bekämpfung der Infaltion, die besonders in Tschechien mit 16 Prozent fast doppelt so hoch sei wie in Deutschland oder dem EU-Durchschnitt. Die tschechische Regierung könne hier für die Bevölkerung nur wenig Ausgleich schaffen, da die 5er-Koalition mit dem Wahlversprechen „keine Steuererhöhungen“ gewählt wurde und damit aus ideologischen Gründen keinen finanziellen Spielraum habe, so Rouček. Im Gegensatz zu Ungarn könne der tschechische Staat aber die Währung noch stabilisieren und so die Inflation bremsen – ein Manko der Länder die den Euro nicht als Währung haben. Somit würden nun wieder Stimmen laut, den Euro zumindest mittelfristig doch noch einzuführen.

Schließlich seien noch Rechtsstaatlichekit und Demokratie zwei wichtige Themen der tschechischen Ratspräsidentschaft, ergänzte Libor Rouček. Hier sollten die guten Beziehungen zu Polen und Ungarn deutliche Fortschritte bringen, was die Präsidentschaft für Tschechien zum Erfolg machen könnte. Hier zeige übrigens die Androhung der EU die Fördergelder zu kürzen, deutliche Wirkung in Polen und Ungarn. Weiter seien auch die Abwendung von Fakenews und die Einmischung Russlands ein wichtiges Thema.

Rege Diskussion

In der anschließenden Diskussion kamen noch die Waffenlieferungen und die Meinung der tschechischen Öffentlichkeit dazu zur Sprache. Auch die Person des Europaministers Mikuláš Bek wurde angesprochen und die Lage der Sozialdemokratie in Tschechien und in Frankreich erörtert. Weiter wurde das angespannte tschechisch-russische Verhältnis und die Reaktion der Bevölkerung auf die hohe Inflation thematisiert.

An diese seliger-online Reihe schloss wieder die Abendschule zu den Grundlagen der Geschichte der sudetendeutschen Sozialdemokratie an. Dr. Thomas Oellermann referierte über Fakenews in den 1920/1930ern.

Natürlich stellen wir das Gespräch mit Libor Rouček als Video-Mitschnitt auf unserem YOUTUBE-Kanal zur Verfügung und bieten die Abendschule als Hör-Beitrag an.

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