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Studienfahrt 2023

Veröffentlicht am 03.09.2023 in Allgemein

Thomas Oellermann (2,v.l.) mit Mitgliedern der Studienfahrt unter den Tribünen im Stadion Strahov

 

Strahov-Stadion – Lost Place in Prag

Einer der beeindruckendsten Programmpunkte unserer Studienfahrt 2023 war die Besichtigung des Strahov-Stadions auf dem Petřín in Prag*. Eingestimmt wurden wir darauf bereits im Haus der Minderheiten, wo Thomas Oellermann den mit Seliger-Gemeinde-Mitteln digitalisierten Film des Regisseurs František Holý über die dritte tschechoslowakische Arbeiterolympiade, die 1934 in Prag zeigte.
 

In dem Film ist auch Dr. Ludwig Czech zu sehen. Czech hielt damals eine sehr kämpferische Rede, denn dieses Festival des Arbeitersports fand nur ein Jahr nach Hitlers Machtergreifung in Deutschland statt. Den deutschen Sozialdemokraten in der tschechoslowakischen Republik ging es darum, klar Stellung zu beziehen gegen Nationalsozialismus und Faschismus. Ludwig Czech war zur Zeit der Veranstaltung der Parteivorsitzende der DSAP, also der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei der Tschechoslowakei. Da diese mit in der Regierung saß, fungierte Czech zudem als Minister – und zwar für öffentliche Arbeiten.

Ein Stadion der Superlative

Die II. tschechoslowakische Arbeiter-Olympiade fand 1934 eben in diesem Stadion in Prag statt. Die Arbeitersportler haben eigene und wirklich große Sportfeste durchgeführt. Zu ihnen gehörten vor allem die sogenannten Bundesturnfeste des ATUS – 1924 in Karlsbad, 1930 in Aussig und 1936 in Chomutov / Komutau. Das waren Massenveranstaltungen mit mehreren Zehntausend Teilnehmern, darunter tausende Turner und Sportler, die in etlichen Sportarten antraten. Dahinter stand natürlich immer der Versuch, bürgerlichen Sportfesten etwas entgegenzusetzen. Genau das gleiche Prinzip herrschte vor bei den sogenannten Arbeiterolympiaden. Daran haben sudetendeutsche wie auch tschechische und slowakische Arbeiterturner als nationale Repräsentanten teilgenommen. Auch die Arbeiterolympiaden sollten in der Zwischenkriegszeit ein Gegenstück sein zu den bürgerlichen Olympiaden. Sie wurden veranstaltet 1925 in Frankfurt / Main, 1931 in Wien und 1937 in Antwerpen.

Ein Höhepunkt dieser Zusammenarbeit ist 1934 die sogenannte Arbeiterolympiade in Prag (es war keine offizielle Olympiade der Sozialistischen Arbeitersportinternationalen), durchgeführt vom tschechischen Arbeiter- Turn- und Sportverband im Strahov-Stadion. An dieser Olympiade nehmen einige tausend deutsche Arbeiterturner des ATUS teil. Diese Veranstaltungen zogen riesige Mengen von Menschen an, „fast 190.000 nahmen an den Übungen in Stadion teil, und fast noch einmal so viele schauten von den Rängen aus zu“, heißt es in einer Beschreibung – 250.000 Zuschauer hatte offiziell Platz gefunden.

Das Stadion in Strahov 1934

Das 1927 noch hölzerne Strahov-Stadion – 1926 vom Architekten Alois Dryákwurde entworfen und mit staatlicher Unterstützung erbaut – wurde 1932 in Beton gegossen und auf bis zu 250.000 Plätze erweitert. Damit fasste es mehr Menschen als jedes andere Stadion und gilt noch heute als das größte der Welt. Berühmt geworden ist es vor allem als Schauplatz für Massensportveranstaltungen: zunächst diejenigen der Sokol-Bewegung, und während der Zeit der ČSSR die Spartakiaden mit bis zu zehntausend Sportlern.

Die Fläche von über 70.000 m² macht das Stadion in Strahov zu einem der größten der Welt, auch wenn moderne Stadien oft höher sind. Die ausladende Weite des Innenraums lässt die Tribünen ringsum zudem klein erscheinen.

Wechselvolle Geschichte

Als das Stadion in Strahov gebaut und ausgebaut wurde, forderte die DSAP und der ATUS den Bau eines Stadions in Aussig. Sie verwehrten sich gegen eine zentralistische Politik zugunsten der Hauptstadt.

1938 würden Flüchtlinge aus dem Sudetenland in den Umkleidekabinen des Stadions in Strahov untergebracht.

Während des Zweiten Weltkriegs war die Sokol-Bewegung verboten und die Nationalsozialisten nutzten das Stadion, um dort Juden vor der Deportation zu sammeln.

Im Mai 1945 nach dem Prager Aufstand wurden deutsche Soldaten sowie deutsche Flüchtlinge und deutsche Einwohner Prags im Strahov-Stadion interniert, bevor sie aus der Tschechoslowakei ausgewiesen wurden. Auf den Rängen im Stadion „hausten“ mehrere tausend Menschen, sie lagen unter freiem Himmel auf blankem Boden und waren Sonne, Wind und Regen ungeschützt ausgesetzt. Alte und Kinder starben zu Hunderten an der Ruhr. Die im Lager entdeckten SS-Leute wurden öffentlich umgebracht.

Nach der Machtübernahme der Kommunisten wurden wiederum viele Sokolisten verhaftet und 1952 wurde die Sokolbewegung von der kommunistischen Partei verboten. Das größte Stadion der Welt stand damit zum ersten Mal ohne Zweck da, bis die Kommunisten 1955 die Idee hatten, eigene Sportveranstaltungen abzuhalten: die Spartakiaden - ideale Propagandaveranstaltungen für ihre Zwecke.

Ein echter Lost Place?

Der Ausdruck „Lost Place“ wird zwar häufig gleichbedeutend mit Ruinen aus der Industriegeschichte oder nicht mehr genutzten militärischen Anlagen gebraucht, die eigentliche Bezeichnung gilt aber für jedweden Ort, der im Kontext seiner ursprünglichen Nutzung in Vergessenheit geraten ist. Insbesondere zählen dazu Orte, die nicht bewusst als Industriedenkmäler für die Nachwelt erhalten und dadurch einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden. Meistens handelt es sich um Bauwerke aus der jüngeren Geschichte, die entweder noch nicht historisch aufgearbeitet (bzw. erfasst) worden sind oder aufgrund ihrer geringen Bedeutung kein allgemeines Interesse finden und daher nicht als besonders erwähnenswert gelten. Dessen ungeachtet gibt es aber auch Lost Places mit sehr hoher historischer Bedeutung. In diesen Fällen führten häufig politische Gründe dazu, dass diese Orte zum „Lost Place“ wurden. Die Faszination dieser Orte liegt in dieser Ursprünglichkeit und der fehlenden (touristischen) Erschließung, die dem Besucher die Möglichkeit bietet, selbst auf „Entdeckungsreise“ zu gehen und dabei Geschichte individuell und hautnah erleben zu können.

Somit haben wir beim Strahov-Stadion im wahrsten Sinne des Wortes einen „Lost Place“, der aber gar nicht so lost ist. Der heutige Zustand des Strahov-Stadions ist katastrophal. Der Platz hat eine hohe historische Bedeutung, die Ursprünglichkeit ist gegeben und die (touristischen) Erschließung fehlt. Aber der Platz wird weiterhin genutzt.

Anfang 2000 wurde über einen möglichen Abriss nachgedacht, daraufhin trug Slavia Prag bis 2008 seine Heimspiele im altehrwürdigen Stadion aus. Außerdem hat die UNESCO in Sachen Weltkulturerbe ein Wörtchen mitzureden.

Bis 2007 gingen hier auch einige große Rock- und Pop-Events über die Bühne. Die Rolling Stones und Pink Floyd mobilisierten noch einmal sechsstellige Menschenmassen hierher. 

Das Stadion in Strahov heute

Heute wird das Strahov-Stadion, in dem sich gleich mehrere Fußballfelder befinden, von Sparta Prag als Geschäftsstelle und Trainingsstätte genutzt. Außerdem werden dort die Heimspiele von Spartas zweiter Mannschaft und den Jugendmannschaften ausgetragen. Von der Stadt Prag sind aufgrund von Einsturzgefahr deshalb nur noch 56.000 Zuschauer zugelassen – mehr als genug für die stattfindenden Spiele.

Heute wird über eine Umfunktionierung zu einer Parkanlage mit Wohnungen und Sportstätten nachgedacht.

 

 

*Der hohe Turm vor dem Stadion, der Strahov Ventilation Tower, ist gleichermaßen interessant. Es handelt sich um einen Belüftungsturm für den darunterliegenden Straßentunnel, der den Berg durchquert.

 

 

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