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seliger-online 09.10.2023

Veröffentlicht am 10.10.2023 in Allgemein

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Die Slowakei hat gewählt – was bedeutet das für Europa und was für uns?

Gespräch zu den Wahlen in der Slowakei mit Robert Žanony, Politikberater aus Bratislava

 

Die Slowakei hat am 30. September 2023 ein neues Parlament gewählt. Von deutscher und europäischer Seite wurde mit großem Interesse auf den Wahlausgang geschaut. Es wird nun vor allem darum gehen, ob die Slowakei zukünftig in der europäischen Ukraine-Politik ein verlässlicher Partner bleibt. Der ehemalige Ministerpräsident und Spitzenkandidat der vormals sozialdemokratischen Partei SMER, Robert Fico, hat im Wahlkampf scharf gegen die EU und gegen Deutschland geschossen. Seine Partei hat gewonnen, so dass sich vor allem die Frage stellt, welche Rolle sie zukünftig spielen wird.

„Als Nachfolgeorganisation der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Tschechoslowakischen Republik ist es uns als Seliger-Gemeinde wichtig, auch einmal den Blick über die böhmischen Länder hinweg auf die Slowakei zu richten“, so Bundesvorsitzende Christa Naaß, die das Gespräch mit Robert Žanony moderierte. Als besonderen Gast konnte Christa Naaß die Bundesvorsitzende der Karpatendeutschen Landsmannschaft in Deutschland, Brunhilde Reitmeier-Zwick in der Zuhörerrunde begrüßen. Auch der Arbeitskreis Europa und internationale Politik der Münchner SPD hatte Interesse an dem Gespräch angemeldet.

Christa Naaß stellte den rund 20 Zuhörer_innen Robert Žanony als Politikberater und wissenschaftlichen Mitarbeiter der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Bratislava vor und traf mit ihrer Eingangsfrage die Problematik auf den Punkt: Wer ist Robert Fico und was ist nun politisch in der Slowakei zu erwarten? Žanony erinnerte daran, dass alle Wähler_innen unter 30 Jahren nur Robert Fico als Ministerpräsident und seine transformierte, postkommunistische Partei SMER kennen. Der Referent beschrieb den Wahlsieger der slowakischen Parlamentswahlen als fleißigen, überragend intelligenten Marketingfachmann mit Machthunger – und einem großen demokratischen Defizit.

„Wie ein Schiff in schwerer See ohne Kapitän“

Robert Žanony beschreib die Slowakei als seit Jahren stagnierend und sich im Niedergang befindend, die Menschen vertrauten dem Staat nicht und vertrauten einander nicht. Die bisherige Regierung sei vor fast einem Jahr zerbrochen, so dass „das Land wie ein Schiff in schwerer See ohne Kapitän taumelt“. Die konservativ-populistische Regierung von Ministerpräsident Heger hatte im vergangenen Sommer (2022) die Mehrheit im Parlament verloren und wurde im Dezember 2022 durch ein Misstrauensvotum gestürzt. Seitdem führt Heger die Amtsgeschäfte im Auftrag der Präsidentin Zuzana Čaputová und sollte zeitnah Neuwahlen ermöglichen. Die Regierung unter Hegers Führung gehörte zu den entschlossensten militärischen Unterstützern des von Russland angegriffenen Nachbarlands Ukraine. Čaputová trat ebenso wie Heger für eine militärische Unterstützung der Ukraine ein. Im Mai 2023 hatte Präsidentin Zuzana Čaputová dann den früheren Vize der Zentralbank, Ludovít Ódor, als Ministerpräsidenten vereidigt. Er leitete eine Expertenregierung bis zu den vorgezogenen Wahlen im September.

 

„Die Slowakei ist alles andere als erfolgreich und wettbewerbsfähig,“ so Robert Žanony weiter. Die slowakischen Ausgaben für Wissenschaft und Forschung lägen nicht nur weit hinter denen der fortschrittlichsten Länder, sondern auch hinter dem Durchschnitt der Europäischen Union zurück. Ähnlich sei die Situation im Bereich der wirtschaftlichen Investitionen. Hinzu kamen die Pandemie und der Krieg im Nachbarland. „Frustration und Wut wachsen“, so Žanony. Die Neigung zur Systemfeindlichkeit sei aber keine slowakische Besonderheit, sondern leider ein europäisches Muster. Der Wahlkampf drehte sich aber nicht darum, wie man den Staat am besten repariert, damit er den Menschen besser helfen kann, sondern es herrscht in der Slowakei ein Kulturkrieg. Das sei bequem für die Politiker, denn Kulturkämpfe verlangten von ihnen keine, aber sie sind hervorragend darin, zu mobilisieren, Menschen gegeneinander aufzubringen. Die Themen „Migration“ und „LGBTI+-Gemeinschaft“ eignen sich dazu hervorragend, so Žanony.

Der Auftragsmord am Investigativ-Journalisten Jan Kuciak

„Und gerade jetzt soll nun ein Robert Fico das Land regieren“, fragte der Referent und erinnerte an den Auftragsmord an dem 27jährigen Investigativ-Journalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten, der 2018 die Slowakei erschütterte und Massenproteste auslöste. Die Proteste fegten den linkspopulistischen Premierminister Robert Fico aus dem Amt, für viele war er das Gesicht eines korrumpierten Staates. Mit ihm fielen viele seiner Getreuen in der Politik, der Justiz und der Polizei, verloren ihre Posten. „Fünf Jahre danach steht Fico und mit ihm die alte politische Elite vor einer Rückkehr an die Macht, denn die neuen politischen Kräfte haben das Vertrauen der Bevölkerung in Rekordzeit verspielt“, erklärte Robert Žanony.

Anschließend stellte der Referent die neu ins slowakische Parlament gewählten Parteien und ihre Parteivorsitzenden vor (s. Tabelle).

Robert Žanony zeigte auch die wichtigsten Bruchlinien der neuen Regierung – wie immer sie auch aussehe – auf. „Im schlimmsten Fall würde die Einheit der EU weiter ausgehöhlt und die Slowakei würde zu einem potenziellen Verbündeten eines Aggressors, der die Souveränität eines kleineren Nachbarn untergräbt. Dies hätte sowohl für das Völkerrecht als auch für die Souveränität des Landes unglückliche Folgen“, malte der Referent das Thema Europa und die Unterstützung der Ukraine schwarz. Doch gleich relativierte er seine Befürchtungen, in dem er erklärte, dass Robert Fico ein Pragmatiker sei, der sehr wohl wisse, wie abhängig die Slowakei vom Geldsegen der EU sei.

Bruchlinien der neuen Regierung

Doch es stünden weitere Gewitterwolken über dem Land, so Žanony. Präsidentin Zuzana Čaputová habe angekündigt, nächstes Jahr nicht für eine zweite Amtszeit kandidieren zu wollen. „Sie wird regelrecht aus dem Amt gemobbt“, erklärte der Referent. Bis dahin stünden aber noch einige wichtige Weichenstellungen an – es gehe auch um Russland und die Ukraine. So habe Čaputová angekündigt, dass sie nicht jeden Minister, der vorgeschlagen werde, automatisch annehmen könne. Man dürfe gespannt sein, wie sich die Regierungsbildung unter diesen Vorzeichen gestalten wird, ermunterte Robert Žanony die Zuhörer_innen, die weitere Entwicklung in der Slowakei aufmerksam zu verfolgen.

 

NACHTRAG: Die künftige slowakische Regierung wird Robert Fico führen (Smer - Slowakische Sozialdemokratie),
Smer bekommt 6 Ministerien, Hlas - Sozialdemokratie 6 und Slowakische Nationalpartei (SNS) 3.

Der Hlas-Vorsitzender Peter Pellegrini wird Parlamentspräsident,

 

Es schloss sich eine rege Diskussion an, bevor Dr. Thomas Oellermann in der Abendschule zu den Grundlagen der Geschichte der sudetendeutschen Sozialdemokratie zum Thema „Die deutsche Arbeiterbewegung in der Slowakei bis 1938“ referierte.

Diese seliger-online-Veranstaltung wird als Video auf unserem YOUTUBE-Kanal zur Verfügung gestellt. Auch die anschließende Abendschule mit Dr. Thomas Oellermann zum Thema „Die deutsche Arbeiterbewegung in der Slowakei bis 1938“ kann jederzeit als Podcast nachgehört werden.

 

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