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Herbstseminar 2023 mit Bundesversammlung

Veröffentlicht am 24.10.2023 in Allgemein

Die 82jährige Gunilla Zimmermann fesselte die Zuhörer_innen mit ihrem Vortrag

 

Die Sudetendeutschen in Schweden

Vortrag und Diskussion mit der schwedischen Autorin Gunilla Zimmermann

Zu Beginn unseres Herbstseminars 2023 stellte Ulrich Miksch eine äußerst interessante Referentin vor: Gunilla Zimmermann, geboren 1941, war Lehrerin an der Grundschule in Västerås für Schwedisch, Deutsch und Schwedisch als Zweitsprache. Durch ihre Doppelqualifikation, den Abschluss in Philosophie machte sie 1970, das Lehramtsstudium in Uppsala 1971, hat sie die Berechtigung, sowohl an Grundschulen als auch an weiterführenden Schulen zu unterrichten. Sie arbeitete als Kulturbeauftragte und Lehrerbibliothekarin und ab Herbst 1998 in der Einwanderungsbehörde als Lehrerin für Schwedisch als Zweitsprache für neu zugewanderte Jugendliche im Sekundarschulalter; seit Frühjahr 2002 war sie verantwortlich für die Vorbereitungsklasse für Schüler der Sekundarstufe an der Grundschule in Västerås. Schließlich bildete sie als Supervisorin Lehrerkandidaten aus. Außerdem hat sie Erfahrung als selbständige Reiseleiterin, Dolmetscherin und Übersetzerin. Im Ruhestand hat sie über deutsche Einwanderer vor, während und nach dem 2. Weltkrieg nach Schweden geforscht und geschrieben. Jetzt ist sie aktive und engagierte Rentnerin, leitet Studienkreise und hält Vorträge. Einen davon über "Die Sudetendeutschen in Schweden" präsentierte sie in Bad Alexandersbad.

Eine besonders schutzbedürftige Gruppe von Menschen während und nach dem Zweiten Weltkrieg waren für Zimmermann die "Sudetendeutschen", die drei Millionen deutschsprachigen Menschen in Böhmen und Mähren im Westen der Tschechoslowakei. „Mit Kriegsbeginn wurden sie deutsche Staatsbürger. Sie wurden während des Krieges diskriminiert und verfolgt und schließlich bei Kriegsende aus der Tschechoslowakei vertrieben“, so die Referentin.

Es ging in diesem äußerst fundierten und interessanten Vortrag um deutschsprachige Einwanderung in Schweden. In vielerlei Hinsicht eine vergessene und verdrängte Geschichte. Sie sprach über die Mechanik, die Systematik, das Muster, den Prozess, den Verlauf, das Phänomen und den Zustand von Migration und Integration. Und über alle ihre Ereignisse - über Flucht, Not und Entfremdung. Über Akklimatisierung und den Aufbau sozialer Netzwerke. Über die Hilfe für Mitmenschen und verantwortungsvolle Unternehmen. Sie erzählte von Einzelschicksalen, von dramatischen Ereignissen, die das Leben der Menschen verändert haben, und von der Fähigkeit, mit Unvorbereitetem umzugehen - so etwa die Migrationsgeschichte der Familie Mlnarik aus Reichenberg oder Karl Goblirsch, Vorsitzender der (illegalen) Sozialistischen Jugend 1942 in der Emigration in Schweden schrieb im Gründungs-Protokollbuch 1942 in dem Sinne, „dass jene jungen Menschen, als erste in Schweden an den Wiederaufbau einer sozialistischen Jugendbewegung in der Heimat dachten“.

„Konkretheit ist wichtig, um das Ganze lebendig zu machen und uns nahe zu kommen. Wir beschreiben hier eine Etappe in der Geschichte von Västerås. Aber viele Städte in Schweden haben die gleiche Erfahrung gemacht. Es ist ein Stück wichtiger lokaler Geschichte, die viele Städte in Schweden teilen. Und Migration, Flucht und Einwanderung sind nach wie vor Alltag und Realität, sind Teil der gesellschaftlichen Entwicklung und der gemeinsamen Weltgeschichte“, so die erfahrene Referentin.

Schweden erklärte sich bereit einen Teil der sudetendeutschen Flüchtlinge aufzunehmen, dies lag vor allem in deren sozialdemokratischer Herkunft begründet und der Hoffnung, mit der Aufnahme die sicherheitspolitische Lage Europas zu stabilisieren. Die Arbeiterbewegung-Flüchtlingshilfe (AF) übernahm im Auftrag der Regierung die Auswahl der Flüchtlinge und die Organisation der Flucht. Zwischen Oktober 1938 und März 1939 konnten etwa 350 Flüchtlinge nach Schweden einreisen.

Die sudetendeutschen Flüchtlinge trafen in von der DSAP organisierten Sammeltransporten in Schweden ein. So kamen zwischen dem 20.11.1938 und dem 12.3.1939 in vier Transporten von Prag nach Gdynia/Gdingen einer Hafenstadt in Polen in der Danziger Bucht 55 Personen an, die auf den Schiffen „Marieholm“ und „Kastelholm“ weiter nach Stockholm flüchten konnten. Die Mehrheit war zwischen 16 und 39 Jahren alt.

Es gab finanzielle Unterstützung durch die Flüchtlingshilfe der Arbeiterbewegung etwa für Medikamente, Kleider oder Krankenhauspflege – aber auch Weihnachtsgeld. Die Aufgabe der Arbeiterbewegung-Flüchtlingshilfe bestand darin, gewerkschaftlich und politisch verfolgte Flüchtlinge, die nach Schweden kamen, finanziell, rechtlich und auf andere Weise zu unterstützen. Diese Organisation war 1933 von der sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SAP) und dem Arbeitergewerkschaftsbund LO gegründet worden.

Die Flüchtlinge wurden von Vertretern der AF empfangen und vorläufig in provisorischen Auffanglagern untergebracht. Ihre Versorgung organisierte die AF. Die Aufnahme durch die schwedische Gesellschaft wird von den Flüchtlingen positiv beschrieben. Auch die sudetendeutschen Flüchtlinge, die zunächst von Norwegen und Dänemark aufgenommen worden waren, konnten nach dem Einmarsch der Deutschen größtenteils nach Schweden flüchten. Sie wurden in die bestehenden sudetendeutschen Gruppen integriert.

„Es ist wichtig, aus der Geschichte zu lernen, etwas, das wir manchmal nicht gut können“, erklärte Gunilla Zimmermann. Die Deutschen luden die Schweden in ihre Organisationen ein. Dort wurden viele Bekanntschaften geschlossen, die zu Heirat und Kindern führten. Die Deutschen, die vor fast 70 Jahren hierherkamen, wollten schnell Schweden werden. In den Jahren kurz nach dem Krieg waren nicht viele besonders stolz darauf, Deutsche zu sein, so die Referentin.

Abschließend las Gunilla Zimmermann ausgewählte Passagen aus einigen der vielen Briefe vor, die ihr durch ihre Recherchen im Archiv der Flüchtlingshilfe der Arbeiterbewegung in Schweden* zugänglich waren. Viele waren Momentaufnahmen, die beschreiben, was die Menschen erlebt, gefühlt und befürchtet haben. Gleichzeitig vermitteln die Briefe ein umfassendes Bild davon, was es bedeutet, unter ständigen Bombendrohungen zu leben, unter Zwangsumsiedlung, unter der Angst vor der Entscheidung zu fliehen oder zu bleiben, unter dem Verlust der Heimat, der Sorge um geliebte Menschen, dem Verlust von Familienmitgliedern, der Aufnahme von Flüchtlingen usw.

Deutsche Einwanderung auch nach dem 2. Weltkrieg

Gunilla Zimmermann beschäftigte sich auch mit der deutschen Einwanderung nach dem Zweiten Weltkriegals in Schweden ein großer Arbeitskräftemangel herrschte, der durch die Anwerbung von Arbeitskräften aus den kriegsgebeutelten Ländern Europas behoben wurde. Während ihrer langjährigen Forschungen über die deutschsprachige Einwanderung nach Västerås zwischen 1940 und 1960 hat Gunilla eine große Menge an Material zusammengetragen, das zu einer Doktorarbeit und mehreren Büchern geführt hat. „Schweden wurde unsere Heimat", "Stimmen aus einem Krieg" und "Die Sudetendeutschen in Eskilstuna" sind drei davon.

So berichtete Zimmermann, dass 1946 das Ermittlungsinstitut der Industrie zur Rekrutierung ausländischer Arbeiter einen Bedarf von 100.000-200.000 Arbeitskräften ermittelte. Daraufhin bestellten sieben Unternehmen in Eskilstuna 116 „Sudetendeutsche Arbeiter“ – es kamen 97. Maßgeblich beteiligt waren dabei die Arbeitsvermittlungen in Wien (Ernst Paul) und in Linz (Karl Kern). Sie organisierten 1947 sieben schwedische Züge mit 1.840 Sudetendeutschen, die mit Sammelausweisen nach Schweden emigrieren konnten – man muss dazu wissen, dass Österreich die sudetendeutschen Vertriebenen möglichst schnell loshaben wollte.

Heutige Einwanderung in Schweden

„Heute ist die Gesellschaft sicherlich eine andere, es gibt nicht so viele Arbeitsplätze“, so Gunilla Zimmermann zur Frage nach der Einwanderer-Situation heute. „Die deutsche Sprache und Kultur sind dem Schwedischen relativ ähnlich, was es für die damalige Generation sicherlich einfacher machte“, so ihr Blick in die Gegenwart. Zimmermann war der Meinung, dass formale Anforderungen nicht immer notwendig sind: „Wenn jemand zum Beispiel gut Schwedisch spricht und sich verständlich machen kann, braucht er vielleicht keinen Abschluss, um einen Job zu bekommen“.

 

Josef Hofbauer, der 1938 nach Malmö emigrierte, schrieb 1944: „Ein Fremdling bin ich in dem Land am Meer, und fremde ist mir auch das Heimatland!“

 

*Das Archiv der Flüchtlingshilfe der Arbeiterbewegung in Schweden umfasst fast 1400 persönliche Akten mit Korrespondenz mit und über einzelne Flüchtlinge. Es enthält Informationen über ihre Bedürfnisse und Probleme, aber auch viel persönliches und sensibles Material. Zum Beispiel ein Brief aus dem Konzentrationslager Dachau, Postkarten, Lebensläufe, Beschreibungen der Bedrohung und Verfolgung in Deutschland, Auseinandersetzungen mit Vermietern, Geldnot und Personen auf der schwarzen Liste.

Es gibt auch Akten für berühmte Sozialdemokraten wie Bruno Kreisky und Herbert Wehner. Neben dieser persönlichen Korrespondenz gibt es auch Korrespondenz mit verschiedenen Flüchtlingsorganisationen, Parteien und Behörden im In- und Ausland.

Ein Großteil des Archivs ist in deutscher Sprache.

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