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Herbstseminar 2023 mit Bundesversammlung

Veröffentlicht am 26.10.2023 in Allgemein

Franz Maget, ehemaliger SPD-Fraktionsvorsitzender und Vizepräsident des bayerischen Landtags spricht über Volkmar Gabert

 

Ein politisches Leben. Volkmar Gabert.

Vortrag von Franz Maget, ehemaliger SPD-Fraktionsvorsitzender und Vizepräsident des bayerischen Landtags

Neben den Neuwahlen war vor allem der Vortrag von Franz Maget, "Ein politisches Leben. Volkmar Gabert." In der Bundesversammlung mit Spannung erwartet worden. Maget war als ehemaliger Landtagsabgeordneter Wegbegleiter und Freund von Volkmar Gabert.

Franz Maget bedankte sich für die Initiative der Seliger-Gemeinde, die Person Volkmar Gaberts in diesem Jahr zum Thema zu machen, denn Volkmar ist völlig zu Unrecht in Vergessenheit geraten - dabei war er eine prägende Persönlichkeit der Sozialdemokratie. Es ist ein Privileg von uns alten, dass wir Volkmar Gabert noch kennenlernen durften.  

Maget gab anfangs einen kurzen Rückblick in die Zeit, in die Volkmar Gabert hineingeboren wurde, denn diese Zeit sei mit entscheidend für das gewesen, was aus Volkmar Gabert geworden sei. Volkmar Gabert ist fünf Jahre nach der Gründung der ersten tschechischen Republik geboren worden, als Teil der sudetendeutschen Minderheit.

Franz Maget zu seiner persönlichen Beziehung zu Volkmar Gabert: Ich habe Volkmar Gabert im Jahr 1975 kennengelernt, als junger Student der Geschichte. Mein erstes Schwerpunktthema im Studium war die Nationalitätenfrage im Habsburger Vielvölkerreich. Mein politischer Mentor, Jürgen Böttrich, hat daraufhin zu mir gesagt, „da musst Du Volkmar Gabert kennenlernen und mit ihm über die Geschichte der sozialdemokratischen Sudetendeutschen sprechen“. Das habe ich getan und das war eine beeindruckende Lehrstunde, die länger dauerte als nur eine Stunde. Mein Wissen über die Sudetendeutschen, über die Seliger- Gemeinde, über die sudetendeutsche Volksgemeinschaft insgesamt, stammt von Volkmar Gabert.

Als Maget im Jahr 2000 Fraktionsvorsitzender wurde, war es für ihn demzufolge ein Anliegen, die Zusammenarbeit zwischen den Sudetendeutschen in Bayern und der Sozialdemokratie zu verbessern, beziehungsweise überhaupt wiederherzustellen. Maget: Wenn ich es salopp formulieren darf, die sudetendeutschen Landsmannschaften habe ich in dieser Zeit wahrgenommen als Vorfeldorganisation der CSU. Die sudetendeutschen Tage waren geradezu Huldigungsmessen für die Vertreter der Staatsregierung, beziehungsweise für die CSU. Ich habe mir gedacht, da stimmt doch etwas nicht. Mit denen musst du ins Gespräch kommen, gemeinsam müssen wir das Verhältnis zur Sozialdemokratie verbessern einerseits, aber auch zu Tschechien andererseits, denn auch mit diesem Verhältnis stimmte etwas nicht.

Da stimmt doch etwas nicht

Maget berichtete weiter, dass sich die bayerischen Ministerpräsidenten schlichtweg geweigert hatten, Tschechien zu besuchen. Kein einziger war je dort, Seehofer war der erste. Maget erinnerte sich: Als die Aufnahme der Tschechischen Republik in die Europäische Union zur Abstimmung stand im Europäischen Parlament, haben die CSU-Abgeordneten gegen den Beitritt der tschechischen Republik zur europäischen Union gestimmt und der damalige Ministerpräsident Edmund Stoiber hatte gesagte, „das geschah in Abstimmung mit mir, das finde ich völlig richtig." - man stelle sich das heute einmal vor. Ungern werden vielleicht CSU-Politiker daran erinnert, das war das Verhältnis der Nachbarn Tschechische Republik und Bayern und ich fand, das musste repariert werden. Deswegen sind wir mit Vertretern der Fraktion ab 1998 regelmäßig nach Prag gereist und die Seliger-Gemeinde hat einen neuen Aufschwung genommen.

Maget warf einen weiteren Blick in die Geschichte zurück, um das Aufwachsen Volkmar Gaberts als Teil der deutschen Minderheit, die nicht immer wohlgelitten war in der Tschechoslowakei und durchaus um Anerkennung ringen musste, darzustellen. Er erlebte den neuen Nationalismus innerhalb des Sudetenlandes und die Henlein-Partei, die den Einmarsch der deutschen Wehrmacht geradezu herbeisehnte und er erlebte den heroischen Kampf der sudetendeutschen Sozialdemokratie für die Freiheit, für die Demokratie und für die Souveränität der Tschechoslowakei. Das war eine bemerkenswerte Leistung der Sozialdemokratie in Mitteleuropa, die viel zu wenig gewürdigt wird.

Heimatvertriebener, nicht weil er Deutscher, sondern weil er Sozialdemokrat war

Maget berichtete, wie Gabert mit seiner sozialdemokratischen Familie 1938 seine Heimat verlassen musste - erst nach Prag, dann nach Großbritannien. Maget: Er war ja Heimatvertriebener, nicht weil er Deutscher, sondern weil er Sozialdemokrat war. Franz Maget zeigte sich überzeugt, dass Großbritannien Volkmar Gabert das Leben gerettet hat. Dort konnten er und seine Familie Zuflucht finden, überleben und er konnte später, nach dem Krieg, hier in Bayern eine politische Karriere beginnen.

Diese Erfahrungen haben, nach Magets Dafürhalten, auch das Wesen von Volkmar Gaberts Arbeit immer geprägt und bestimmt. Leicht hatte er es ja auch als sozialdemokratischer Politiker in Bayern nicht. Sein Leben lang kämpfte Volkmar Gabert von einer Minderheit heraus. Als Deutscher in der Tschechoslowakei, als Exilant in Großbritannien, wo er sich der Labour Party und der Fabian Society angeschlossen hatte, nach seiner Rückkehr nach Deutschland als Heimatvertriebener. Es ist ja eine Geschichte, die schön erzählt wird, dass die Heimatvertriebenen hier in Bayern mit offenen Armen empfangen worden wären, jetzt sitzen hier viele, die dabei waren und die wissen, dass es anders gewesen ist, so Franz Maget.

Volkmar Gabert erlebte noch die große Zeit der Sozialdemokratie als Nachfolger von Ludwig Hoegner und Waldemar von Knoeringen. Politische Erfolge hatte Gabert auch: Bei Landtagswahlen 35% und mehr.

Zu den schwersten Stürmen im politischen Leben von Volkmar Gabert, und auch da überzeugte er mit Standhaftigkeit, gehörte die Diskussion um die neue deutsche Ostpolitik. Franz Maget: Die Älteren haben das Privileg, sich auch daran erinnern zu können. 1970 /71/72 die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze, die heutige Ostgrenze Deutschlands und die Westgrenze der Polnischen Republik. Was brach da für ein Sturm, für ein Furor der Empörung in Deutschland los innerhalb der Heimatvertriebenen. Reihenweise sind auch SPD-Bundestagsabgeordnete, die an der Spitze der Heimatvertriebenen im Bund standen, aus der SPD ausgetreten und haben der SPD fast die Mehrheit im Bundestag genommen, was bekanntermaßen zu einem Misstrauensvotum geführt hat.

In dieser politisch extrem schwierigen Zeit, als die Heimatvertriebenen von einer Verzichtspolitik gesprochen hatten, habe Volkmar Gabert gesagt, „man kann nur etwas verloren geben, was man noch besitzt, nicht etwas, was man schon längst verloren hat“. Er meinte die Gebiete im ehemaligen Deutschen Osten. Er ist auch in dieser extrem schwierigen persönlichen Debatte bei seiner politischen Linie geblieben und, so Franz Maget, spätestens heute sind wir doch alle der Meinung, dass dies die richtige politische Linie gewesen ist.

Volkmar Gabert war ein bescheidener Mensch

Maget weiter: Volkmar Gabert war ein bescheidener Mensch. Er würde in das heutige politische Tagesgeschäft nicht passen. …  Eine politische Welt, in der man jede halbe Stunde eine politische Meinung absondern, oder innerhalb einer halben Stunde die Frage eines Journalisten oder einer Journalistin zu einem x -beliebigen Thema beantworten muss - eine solche politische Welt wäre für Volkmar ein Graus gewesen. Er hätte das in keiner Weise ausüben können und auch nicht ausüben wollen.

Franz Maget erinnerte auch an Volkmar Gaberts Frau Inge: Auf die war er schon deshalb angewiesen, weil Volkmar keinen Führerschein hatte und keinen Dienstwagen. Wenn Volkmar irgendwohin musste, hat ihn seine Frau Inge chauffiert. Inge war übrigens in Teilen sogar die bessere Rednerin. Inge war ein brillanter politischer Kopf, in der politischen Bildungsarbeit tätig, bei der ASF; ich würde mir wünschen, dass, man heute Ihre Rolle als Vorkämpferin für die Rechte der Frauen, für eine feministische Politik stärker würdigen würde.

Franz Maget bescheinigte Volkmar Gabert, dass er der weltläufigste, der international erfahrenste Fraktionsvorsitzende war, den es im Bayerischen Landtag über alle Fraktionen hinweg je gegeben hat. Er sprach fließend drei Sprachen. Welcher andere Fraktionsvorsitzende einer Fraktion im Bayerischen Landtag ist bekannt, für den das auch zutreffen würde, Fragte Maget in die Runde.

Nach seinem Ausscheiden aus dem Landtag, zuletzt als Vizepräsident des Bayerischen Landtags, kandidierte Volkmar Gabert folgerichtig 1979 bei der Direktwahl zum Europäischen Parlament  und Maget erinnerte sich, wie sehr es ihn getroffen hatte, dass seine Kandidatur in den Medien, die Kandidatur eines lebenserfahren Europäers, mit dem Satz kommentiert wurde „hast du einen Opa schick ihn nach Europa“. Dazu Franz Maget: Dieses hat ihn geradezu persönlich verletzt, weil er das Gefühl hatte, dass junge Journalistinnen und Journalisten, die keine Ahnung von der Geschichte haben, seine Lebenserfahrung in keiner Weise schätzen und würdigen konnten. Dabei war er ein internationaler Föderalist allererster Ordnung, der auch in seiner Zeit als bayerischer Landespolitiker immer über die Grenzen hinaus geschaut hat, indem er zum Beispiel auch die Arbeitsgemeinschaft der Sozialdemokraten im Alpenraum gegründet hat, engste vertrauensvolle persönliche Verbindungen mit österreichischen Sozialdemokraten hatte und ein persönlicher Freund zum Beispiel von Bruno Kreisky gewesen ist. Alles das ist leider vergessen, umso mehr vielen Dank der Seliger-Gemeinde, dass sie auf dieser Veranstaltung die Möglichkeit eröffnet, daran zu erinnern.

Franz Maget erzählte noch über ein paar persönliche Erlebnisse in dem kleinen schmalen Reihenmittelhaus am Lerchenauer See mit seiner Bauernstube. Die Reihenhäuser haben alle den gleichen Grundriss - da gibt es eine Essecke und in diese Essecke war aus Holz eine Bauernstube hineingeschoben und ein Kachelofen installiert, um am Lerchenauer See ländliche Geborgenheit zu schaffen. Es war sehr gemütlich dort, wir haben uns sehr wohl gefühlt, haben viele Abende lang diskutiert - er hatte dann ja Zeit -, ein Glas Wein dabei getrunken und wir haben uns so sehr angefreundet, Volkmar und ich, dass er eines Tages kam und sagte „Wir ziehen aus“.  Er hatte sich ein Haus in Unterhaching realisiert, behindertengerecht, „dorthin ziehen wir“ sagte Volkmar zu mir und meiner Frau „wollt ihr unser Haus haben?“. Wir wollten - über den Preis erzähle ich nichts - wie gesagt wir waren befreundet und der Preis war so, dass wir es uns leisten konnten und dann wohnten ab 1991 ich mit meiner Frau und unseren Kindern im Haus von Volkmar und Inge Gabert und auch deswegen werde ich natürlich Volkmar Gabert immer dankbar sein und immer an ihn denken. Ich hoffe, ich habe Ihnen jetzt ein wenig den Menschen Volkmar Gabert nahebringen können. Er war ein großer Sozialdemokrat. Vielen Dank.

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