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Im Zentrum 2021 - Jeseník/Freiwaldau

Veröffentlicht am 10.07.2021 in Adventskalender

Gedenktafel in Jeseník/Freiwaldau: Das Gründungsjahr 1890 für die Sozialdemokratische Partei in Freiwaldau ist bemerkenswert – auch wenn es sich hier keinesfalls um die DSAP handeln kann, da diese erst nach dem 1. Weltkrieg 1919 nach der Gründung der Tschechoslowakei entstand.

Vorläufer der Partei war die bereits im Jahre 1863 in Asch, im nordwestlichsten Zipfel Böhmens, als Sektion des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins gegründete Arbeitervereinigung, die erste sozialdemokratische Organisation im Kaiserreich Österreich. Die Sozialdemokratie zerfiel schon bald wieder aufgrund der starken Verfolgung durch die Polizei. Zur Jahreswende 1888/1889 wurde die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Österreichs in Hainfeld neu gegründet.

 

Spurensuche: Die Sozialdemokratie in Jeseník

Wie die oben gezeigte Gedenktafel ausweist, gab es bereits 1890 einen Sozialdemokratischen Verein in Freiwaldau/Jeseník. In den Aufzeichnungen der Stadt lässt sich schon im Jahr 1873 ein Arbeiter-Bildungsverein nachweisen. 1919, nach dem 1. Weltkrieg und nach der Gründung der Tschechoslowakei, entstand auch hier eine Ortsgruppe der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (DSAP).

Aufgrund der ethnischen Zusammensetzung der Bevölkerung des Kreises Jeseník spielten die deutschen Parteien eine entscheidende Rolle bei den Wahlergebnissen.

Die meisten erwachsenen Einwohner des Bezirks waren in der Steinindustrie, Textilindustrie und Landwirtschaft beschäftigt. Die Zusammensetzung der Unternehmen war geprägt von kleinen Handwerksbetrieben, nur wenige Betriebe waren mittelständisch, wobei das größte Unternehmen die Textilfabrik Regenhart & Raymann war. Deshalb konzentrierte sich die Unterstützung auf politische Parteien, die sich auf Arbeiter, Kleingewerbetreibende oder solche, die das politische Programm mit einem nationalen oder religiösen Thema verbanden, konzentrierten. Die stärkste Position hatte in den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts dabei die Deutsche Volkspartei. In der Region Jeseník errang sie auch bei den k.u.k.-Reichsratswahlen 1907 die meisten Stimmen. Den zweiten Platz in der Wählergunst belegten damals schon die Sozialdemokraten und den dritten die Christlichsozialen. Bei den Reichsratswahlen 1911 erhielten die Sozialdemokraten bereits vor den Christlich-Sozialisten und der Deutschen Arbeiterpartei die meisten Stimmen.

Im April 1920 fanden die ersten Parlamentswahlen in der neugegründeten Tschechoslowakischen Republik statt. In der Region Jeseník erhielten, anders als im Rest des Sudetenlandes, bereits da die nationalistischen Parteien mit 36,4% die meisten Stimmen. An zweiter Stelle folgten die Christlichen Sozialisten mit 31,5% der Stimmen, dicht gefolgt von den Sozialdemokraten mit 30,9% der Stimmen. Auch das Ergebnis der Christlichsozialen in der Stadt Jeseník lag weit über ihrem Bundesdurchschnitt und zeugte von starken Positionen des Katholizismus in Westschlesien. Im Gegensatz zu den nationalen Ergebnissen fielen die deutschen Landwirte in der Region Jeseník komplett ab und erhielten nur 0,71% der Stimmen. Im Gerichtsbezirk Jeseník selbst war die Position aller drei stärksten politischen Einheiten sehr ausgeglichen, obwohl die Christlichsozialen (34,83%) vor den Sozialdemokraten (31,90%) und der Koalition nationalistischer Parteien (31,79%) als knappe Gewinner hervorgingen.

Arbeiteten in der Anfangszeit der Tschechoslowakei die deutschen Parteien in der Region Jeseník noch zusammenarbeiten, traten bei den Parlamentswahlen im September 1923 die Parteien bis auf wenige Ausnahmen unabhängig voneinander an. Obwohl die deutschen Agrarier in den Wahlen auf nationaler Ebene als Sieger hervorgingen, war die Situation in der Region Jeseník diametral anders. Klarer Sieger waren die Christlichsozialen, die über 37 % aller abgegebenen Stimmen erhielten. Die Nationalisten, dicht gefolgt von den Sozialdemokraten, die die kommunistischen Stimmen verloren hatten, nahmen mit großem Abstand den zweiten Platz ein. In den Gerichtsbezirken Jeseník und Zlaté Hory errangen die Sozialdemokraten den zweiten Platz vor den Nationalisten und in Vidnava gewannen die Nationalisten vor den Christlich-Sozialen und den Kommunisten.

Die zweiten Parlamentswahlen 1925 brachten einige Neuerungen für das Lager der deutschen Parteien in der Tschechoslowakischen Republik. Die Wahlen bestätigten den rasanten Aufstieg der deutschen Agrarwirtschaft, der sich bereits bei den Kommunalwahlen 1923 bemerkbar machte. Der Bund der Landwirte (BdL) verdoppelte die Zahl seiner Mandate (24 gegenüber 11 im Jahr 1920). Obwohl die nationalistischen Parteien jedes Mal einzeln zur Wahl antraten, verbesserten sie sich in der Summe ihrer Sitze (17 vs. 15). Die deutschen Sozialdemokraten durchlebten eine tiefe Krise und verloren im Vergleich zur ersten Bundestagswahl (17 vs. 31) fast die Hälfte ihrer Sitze.

Aber auch diesmal war die Situation in der Region Jeseník völlig anders als die nationalen Ergebnisse. Der Bauernverband (BdL), der nur 6,86 % der abgegebenen Stimmen erhielt, verlor hier deutlich. Überzeugender Sieger waren wie bei der Bundestagswahl vor zwei Jahren die Christlichsozialen, die diesmal 37,77 % der Stimmen erhielten. Die anhaltend relativ starken Positionen der Nationalisten bestätigten die Ergebnisse von DNP und DNSAP 21,24 % bzw. 10,01 %. Die Sozialdemokraten haben mit 14,15% der Stimmen noch immer die 10 %-Schwelle überschritten. Einzig im Gerichtsbezirk Vidnava bestätigten die Kommunisten ihre starke Position, sammelten hier mehr Stimmen als in den drei verbleibenden Gerichtsbezirken zusammen und besiegten die Nationalsozialisten und Sozialdemokraten.

Sieger der Bundestagswahl 1929 war unter den deutschen Parteien die DSAP, die nach der inneren Krise Anfang der 1920er Jahre ihre traditionelle Stellung auf der politischen Bühne wiedererlangte. Der Zuwachs um 21 Sitze bedeutete einen leichten Anstieg gegenüber 1925. An zweiter Stelle steht der BdL, der zwar für eine Koalition mit der Deutschen Arbeits- und Wirtschaftsgemeinschaft und der Karpatendeutschen Partei kandidierte, jedoch 8 Sitze verlor und nur noch 16 Abgeordnete hatte. DNP und DNSAP behielten im Wesentlichen eine beständige Wählerschaft, verloren nur zwei Mandate und hatten jeweils acht Mandate im Abgeordnetenhaus. Aus Sicht des deutschen Aktivismus war der Eintritt der Sozialdemokraten in die Regierung der sogenannten "breiten Koalition" eine positive Nachricht.

Die konservative Region Jeseník hielt noch an traditionellen Werten (und Parteien) fest und so gewannen hier die Christlichsozialen. Diesmal noch überwältigender als 1925. Die DCV gewann die Abstimmung mit 41,49 % aller abgegebenen Stimmen. Die Nationalisten behielten ebenfalls eine relativ starke Position, wobei DNSAP 13,11% und DNP 10,26% zulegten. Die Sozialdemokraten verbesserten sich zwar in der Region Jeseník, aber nicht schwindelerregend - sie erhielten insgesamt 17,12 % der Stimmen. Der Aufstieg der DSAP erfolgte in den Gerichtsbezirken Jeseník, Vidnava und Zlaté Hory, aber in der Region Javornice blieb sie nicht nur weit hinter der DCV, sondern auch hinter beiden nationalistischen Parteien zurück. Gestärkt wurde die Position der Kommunisten, die sich mit einem Ergebnis von 8,78 % erstmals der 10 %-Marke näherten. Die deutschen Landwirte brannten jedoch wieder aus.

Die deutsche Frage wurde zu einer sozialen Frage.

Niemand wusste bei diesen Wahlen am Sonntag, den 27. Oktober 1929 jedoch, welches Drama in New York vor sich ging. Nur zwei Tage zuvor hatte die New Yorker Börse Konkurs angemeldet. Ein Jahr später, im Herbst 1930, zeigten sich dagegen in der Tschechoslowakischen Republik die Folgen der Weltwirtschaftskrise mit voller Wucht, und die Zahl der Arbeitslosen stieg stark an. Die stark exportorientierte sudetendeutsche Industrie war von der Krise besonders betroffen und sah sich mit ihren Folgen deutlich stärker konfrontiert als die tschechische Binnenindustrie.

Während der Krise wuchs in der Nachbarschaft des tschechoslowakischen Staates eine gefährliche räuberische und aggressive Macht heran. Mit Hitlers Aufstieg wurde es in den Augen der Sudetendeutschen, in Anbetracht der tschechoslowakischen Wirtschaftskrise, zu einem attraktiven Ziel, die nationale Autonomie oder sogar die Vereinigung aller Deutschen anzustreben. Niemand hat realisiert, dass die Wirtschaftskrise in Deutschland einfach eher begonnen hatte und daher früher abbrach, oder dass die Rüstung zum Hauptmotor der deutschen Wirtschaftserholung geworden war.

In der Ausrichtung der sudetendeutschen Politik setzte sich allmählich ein neuer Negativismus durch. An vorderster Front stand zunächst die DNSAP, die nicht nur ihre anti-tschechoslowakische Rhetorik verschärfte, sondern auch die Frustration der krisengeschüttelten Bevölkerung an der Grenze geschickt ausnutzte. Die Nationalsozialisten organisierten Dutzende von Veranstaltungen, in denen sie die unzureichenden Anti-Krisen-Maßnahmen der "Prager" Regierung, die Aktivitäten der mit Tschechien "kollaborierenden" Aktivistenparteien und die außenpolitische Ausrichtung der Tschechoslowakei kritisierten. In einer Zeit wachsender wirtschaftlicher Probleme gelang es der Partei, soziale und nationale Forderungen zu vereinen und bei den krisengeschüttelten Wähler Gehör zu finden. Dies spiegelte sich im bedeutenden Erfolg der DNSAP bei der Wahl im Jahr 1931 wider.

Die Auswirkungen der Wirtschaftskrise haben auch in der sonst sehr konservativen Region Jeseník die Geschichte überschrieben. Textilfabriken, Steinbrüche, Kalkstein- ​​und andere Industriebetriebe schränkten die Produktion ein und die Armee der Arbeitslosen wuchs. Das tragische Ergebnis der verzweifelten wirtschaftlichen Lage war der sogenannte Frývald-Streik, der in Dolní Lipová mit Blutvergießen endete. Natürlich präsentierten die deutschen Nationalisten die ganze Veranstaltung als Zusammenstoß deutscher Arbeiter mit der tschechischen Gendarmerie. Bis zum Frühjahr 1935 verbesserte sich die wirtschaftliche Lage in der Region Jeseník im Vergleich zu den frühen 1930er Jahren kaum, was sich in den Wahlergebnissen niederschlug.

Aufstieg der Nationalsozialisten

Den Staffelstab der verbotenen DNSAP und DNP übernahm bald die Sudetendeutsche Partei (SdP) von Konrad Henlein, der dies jedoch zunächst hinter öffentlichen Loyalitätsbekundungen zur Tschechoslowakischen Republik versteckte. Bei den Parlamentswahlen 1935 gewann die SdP in einem Wahlbündnis mit einer weniger bedeutenden karpatendeutschen Partei 1.249.534 Stimmen und gewann 44 Sitze im neuen Parlament. Die SdP erlangte unter den deutschen Parteien eine völlig dominante Stellung, da sie von fast zwei Dritteln der deutschen Wähler gewählt wurde. Es war ein schwerer Schlag für die proaktivistischen Parteien. Die deutschen Sozialdemokraten erhielten nur 11 Sitze. Noch schlimmer waren die Christlichsozialen und die deutschen Bauern mit jeweils nur 6 Sitzen dran.

Die sudetendeutsche Partei gewann bei den Wahlen in der Region Jeseník unglaubliche 66,86 % der Stimmen, mit den stärksten Positionen in Vidnavsko (74,01 %) und Javornicko (68,21 %). Den zweiten Platz im Kreis belegten die Christlichsozialen mit 22,13 %, die Sozialdemokraten mit nur 7,49 % der Stimmen den dritten Platz. Die deutschen Landwirte fielen erneut komplett zurück und erhielten nicht einmal 1,5% der Stimmen.

In der zweiten Hälfte der 1930er Jahre geriet die Sudetendeutsche Partei unter die Kontrolle von Nazi-Deutschland und wurde ihre fünfte Kolonne, die sich auf die Auflösung der Tschechoslowakischen Republik vorbereitete. Die politische Entwicklung in der Tschechoslowakei war in den folgenden Jahren bereits unaufhaltsam auf München und den Verlust der Grenzgebiete gerichtet. Tatsächlich stellten BdL und DCV im Frühjahr 1938 ihre Tätigkeit ein. Die überwiegende Mehrheit der Mitglieder trat der SdP bei. Die einsamen Sozialdemokraten konnten dem Druck der Nationalsozialisten nicht widerstehen.

Die letzten Wahlen in Jeseník vor dem Münchner Abkommen waren die Kommunalwahlen im Juni 1938. Die Sudetendeutsche Partei gewann absolut und gewann über 95 % der Stimmen, gefolgt von einem "heißen" September, als Freikorps-Truppen den größten Teil des Bezirks besetzten und die Jagd auf Gegner des Nationalsozialismus begannen.

„Heim ins Reich!“ - Das Jahr 1938 in der Region Jeseník

Bemerkenswert ist dazu die Arbeit von Mgr. Jana Hradilova vom staatlichen Kreisarchiv Jeseník, die sich mit den Ereignissen im Jahr 1938 in der Region Jeseník befasst. Nur wenige Regionen haben Erinnerungen örtlicher Mitglieder der tschechoslowakischen Sicherheitskräfte (vor allem Gendarmen und Angehörigen der Finanzorgane) sowie Zivilisten, die im Herbst 1938 auf die Schnelle ihre Heimat verlassen mussten, so akribisch ausgewertet. Denn auch die sudetendeutsche Literatur, die so genannten Heimatbücher, beschreiben die betreffende Zeit nur sehr kurz, eher am Rande, einige glänzen jedoch - und dies so viele Jahre nach dem Krieg - durch einen erstaunlichen Chauvinismus.

Zur Dokumentation der Ereignisse des Herbstes 1938 in der Region Jeseník steht im staatlichen Kreisarchiv in Jeseník interessantes Archivmaterial zur Verfügung. Unmittelbare Primärquelle ist vor allem eine umfangreiche Kollektion von Gemeinde-, Schul- und Pfarrchroniken, die bisher fast überhaupt nicht ausgeertet wurde, sowie die zeitgenössische Presse. Zu nutzen sind ebenfalls die Akten des Kreisgerichts und Funde nationalsozialistischer Herkunft – vor allem der Kreisleitung der NSDAP, aus denen besonders die persönlichen Akten von Parteifunktionären wertvoll sind, - sowie eine bruchstückhafte Dokumentation des Freikorps.

Die Region Jeseník befand sie sich in einem isolierten Winkel an der Staatsgrenze zu Deutschland. Aus geografischen und strategischen Gründen wurde dieses Gebiet nicht durch die neu errichteten Befestigungen geschützt. Umso leichter war es daher vom Norden, also von Deutschland her zugänglich. Als tschechoslowakische bewaffnete Kräfte trat hier, neben einer geringen Zahl von Gendarmen, Polizisten, Finanz- und Zollbeamten, nur das 7. Grenzbataillon in Jeseník in Erscheinung. Die Region Jeseník wurde wohl auch deshalb von bewaffneten Gruppen des sudetendeutschen Freikorps mit Unterstützung der deutschen Armee und Polizei zum größten Teil bereits nach dem 22. September 1938 besetzt, also bereits vor der Münchener Konferenz (29. September 1938). Gerade am 22. September begannen die Funktionäre der Sudetendeutschen Partei (SdP) unter begeisterten Heilrufen der örtlichen Bewohner in ihre Gemeinden zurückzukehren, aus denen sie in der ersten Hälfte des Monats nach einem erfolglosen Umsturzversuch über die Grenze geflüchtet waren. Zusammen mit ihnen kamen im Reich formierte Abteilungen des sudetendeutschen Freikorps. Deren Rückkehr erfolgte selbstverständlich nicht ohne Zwischenfälle.

Bereits von Anfang an betrieb die SdP eine schroffe Konfrontationspolitik, die sich in Abhängigkeit vom politischen Geschehen in der Heimat und im Ausland steigerte. Auch in der Region Jeseník zeigte sie dies in der Presse, bei Manifestationen und feurigen Umzügen, unter dem Lärm von Fanfaren und Trommeln bei der Begleitung von Fahnenweihen und durch das Heben der rechten Hand. Die persönlichen Beziehungen zwischen den Tschechen und den Deutschen veränderten sich Schritt für Schritt von freundschaftlichen zu zurückhaltenden, bis hin zu feindseligen. So gab es bereits Mitte Mai 1937 den Fall eines Angriffs gegen die Brüder Arthur und Josef Geier, Anhänger der sozialdemokratischen Partei, als diese von einer Feier zum 1. Mai aus Jeseník zurückkehrten.

Die radikale Politik der SdP fand Mitte Mai 1938 u. a. ihren Ausdruck in der Bildung des so genannten Freiwilligen Schutzdienstes (FS). Diese Einsatzeinheiten wurden nach dem Muster der halbmilitärischen Formationen der SA und SS organisiert und geschult und aus dem Reich mit Waffen versorgt. Die Miliz unter Mithilfe der jungen Turner, die Mitglieder des Deutschen Turnvereins (DTV) wurden nicht nur zum „Schutz“ der sudetendeutschen Bevölkerung eingesetzt, sondern bereitete sich durch organisierte spezielle Schulungen, Nachtübungen und auch durch Waffenschmuggel aktiv auf den Henlein-Putsch vor.

Es wurde schnell klar, dass die Region Jeseník zu einem der wichtigen Angriffsräume im bewaffneten Kampf Nazideutschlands gegen die Tschechoslowakei werden würde.

Vom großen Aufmarsch der Sudetendeutschen Partei am 1. Mai 1938 in Freiwaldau, wo sich auf dem Sportplatz ca. 26.000 Personen versammelten, bis zum schicksalhaften Aufeinandertreffen von Angehörigen der SOS mit Mitgliedern des Freikorps in der zweiten September-Hälfte 1938 berichten die Ortschroniken.

Nachdem die tschechischen Verbände nach dem Münchner Abkommen von den grenznahen Gemeinden abzogen wurden, organisierten die Angehörigen des Freikorps buchstäblich eine Jagd auf „noch verborgenen Tschechen, Kommunisten und deutschen Volksverräter“.

Während die Tschechen in der Mehrzahl kurz nach München in die verkleinerte Republik zurückgeführt wurden, begann für die deutschen Antifaschisten und dem Regime unbequemen Personen sogleich nach dem Umsturz und besonders nach der Ankunft der Wehrmacht und der sie begleitenden Sondereinheiten, die aus Angehörigen der Gestapo, der Schutz- und Ordnungspolizei bestanden, häufig ein leidvoller Weg der Verhaftung, der Verhöre und der Einkerkerung.

Eine nicht geringe Rolle spielten bei diesen Säuberungen auch die sudetendeutschen Nationalsozialisten selbst, die über die Gegner des Nazismus bereits aus früherer Zeit ausführlich Bescheid wussten. Allein in der Region Jeseník meldete die Dienststelle der Gestapo in Opava zum 25.11.1938 390 Verhaftungen. Nach dieser gründlichen Säuberung konnte Stadt um Stadt, Dorf um Dorf nun mit Recht behaupten, dass es „nun rein deutsch sei“.

Durch Gestapo-Haft und schließlich ein Konzentrationslager ging z. B. der Textilarbeiter Leo Hanke aus Jeseník, der des Hochverrats beschuldigt wurde. Hanke war seit März 1917 Mitglied der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (DSAP), aus ihr trat er 1922 in die KSC über. Im April 1939 wurde er von einer Grenzwache festgenommen, als er versuchte, mit seinem Sohne Alfred illegal die Grenze nach Polen zu überschreiten. Für sein kommunistisches Denken, wozu ihn nach amtlicher Mitteilung vom August 1944 seine „geringe Intelligenz“ gebracht hatte, verbrachte Leo Hanke drei Jahre im Konzentrationslager. An seiner „Umerziehung gab es keine Zweifel.…“. Hanke äußerte sich bei seiner Rückkehr aus dem Gewahrsam: „Ich bin nunmehr für immer kuriert!“

"Dank an die Antifaschisten"

Josef Menzel war Steinschleifer in der Steinindustrie in Friedeberg. Er war in der DSAP engagiert und hat als Ortsvorsitzender, nachdem der Ruf „Heim ins Reich“ 1938 immer lauter wurde, an den Chef seiner Partei in Freiwaldau (Jeseník) ein Telegramm geschickt, in dem es sinngemäß heißt: „Lasst euch nicht einwickeln, macht nicht mit bei dieser Geschichte, das ist nicht das Richtige, lasst die Finger davon!“ Ein Rivale hat das Telegramm jedoch abgefangen und hat es den Gestapo-Beamten zugespielt. Also kam eine Vorladung: „Herr Menzel, kommen Sie mal nach Freiwaldau“, hieß es. „Was ist los mit Ihnen?“ Nichts Besonderes, sagte er ihnen. Sie haben ihn später wieder heimgeschickt. Zwei Wochen später kam wieder etwas, wieder eine Befragung, und dann wurde er noch mal verhört. Der verhörende Gestapomann sagte: “Herr Menzel, tut mir leid, ich kann jetzt nichts finden, was wirklich gegen Sie spricht. Aber warum haben Sie denn zu den Tschechen gehalten, wie können Sie bloß so unvernünftig sein? Es tut mir leid, ich kann für Sie nichts machen“. Und er hat ihn heimgeschickt. Wieder zwei, drei Wochen später kamen zwei Gestapo-Beamte in den langen grauen Mänteln mit Hüten: „Herr Menzel, kommen Sie mit“, und sie haben ihn nach Freiwaldau abgeführt. Er hat eine Postkarte geschickt: „Ich bin da und da in Freiwaldau und ich melde mich wieder, wenn wieder was ist“. Und dann war er weg.

Josef Menzel durchlebte vier Jahre die Konzentrationslager Dachau, Buchenwald und Mauthausen, wo er als Arbeiter und Steinschleifer eingesetzt wurde. Zu Weihnachten 1942 wurde Josef Menzel aus dem Konzentrationslager entlassen, die Familie verbrachte die Festtage zusammen, aber kurz danach wurde er in ein Sudetenländisches Treibstoffwerk in Maltheuern bei Brüx (Most) geschickt, wo man Benzin und Diesel produzierte, und wo er bis zum Kriegsende gefährliche Jahre in ständiger Bedrohung von Fliegerangriffen erlebte. Nach dem Zusammenbruch musste sich Josef Menzel, zusammen mit einem Kumpel, noch von Brüx nach Hause durchschlagen. Ein Jahr nach Kriegsende lebte die Familie Menzel friedlich im Heimatort Stillstand (Zastávka), bis sie im August 1946 ihre Heimat verlassen musste.

Da gab es Hunderte, Tausende von Häftlingen, die alle gesagt haben: „Moment, wir möchten nicht genauso behandelt werden, wie die restlichen Deutschen“. Aber es hieß: „Ihr müsst auch raus“. Gut, haben die gesagt, wenn wir schon raus müssen, dann gehen wir freiwillig, aber dann, bitte, in geordneten Zuständen. Wir möchten nicht als Vertriebene, sondern in Ehren gehen. Dann hieß es: Na gut, dann macht das, ihr kriegt so und so viele Leute genehmigt, ihr kriegt auch einige Eisenbahnwagons dazu, wir stellen sogar die Transporte zusammen, etwa fünfhundert Personen hatten dort Platz, und ihr, die alten Antifaschisten, könnt euch selber organisieren und raus gehen, wie ihr es für richtig haltet.

Und da war Josef Menzel wieder vorne mit dabei, bei den ersten, die das organisiert haben. Die sagten zu ihm: „Menzel, du kümmerst dich jetzt um die Leute in Freiwaldau. Und wer mit raus will, der soll sich bei dir melden.“ Das waren alle, die irgendwie nachweisen konnten, dass sie entweder Widerstand geleistet haben, oder zumindest keine Nazianhänger waren, die sich während der Hitler Zeit eher zurückgehalten haben und leise waren, oder, die sich als gute Christen geführt haben. Menzel und seine Kollegen, etwa zwei, drei Männer, die das Ganze regelten, haben alle die freiwillig raus gehen wollten, auf die Liste geschrieben."

Die Familie Menzel lebte dann mehrere Jahre auf einem Bauernhof zusammen mit der Bauernfamilie. Sie wurden gut empfangen und integrierten sich schnell. Josef Menzel war in Bayern als „Flüchtlingsobmann“ tätig. Sein Sohn Edgar Menzel (geb. 1936) ist heute pensionierter Lehrer, ist verheiratet, hat zwei Töchter und fünf Enkeltöchter. Er hat die Geschichte seines Vaters niedergeschrieben (https://www.pametnaroda.cz).

Leopold Grünwald berichtet in seinem Buch „Im Kampf für Frieden und Freiheit – Sudetendeutscher Widerstand gegen Hitler“ über eine Widerstandsgruppe im Bezirk Freiwaldau, die sich in den Jahren 1940 und 1941 unter Teilnahme deutscher und tschechischer Hitlergegner bildete. Kurz nach dem Attentat auf Hitler im Juli 1944 wurden 30 ehemalige Amtsträger der DSAP und der KPTsch, darunter auch der sozialdemokratische Abgeordnete Wilhelm Häusler, verhaftet und im Arbeitshaus Mährisch-Schönberg interniert. Die Internierten wurden anfangs 1945 entlassen und setzten ihre Aktivitäten fort. Der Leiter der Gruppe, der ehemalige Krankenkassendirektor Eduard Zorn, verhinderte, dass im Bezirk Freiwaldau die angeordneten Brückensprengungen durchgeführt wurden. Nach Kriegsende kamen aber nicht die Antifaschisten an die Macht, „sondern tschechische Chauvinisten, die das mutige Eingreifen sudetendeutscher Widerstandskämpfer durch Drangsalierungen und Diskriminierungen "belohnten".  Auch der Antifaschist Zorn musste sein eigenes Haus räumen; die tschechischen Behörden weigerten sich sogar, ihn als Antifaschisten anzuerkennen“.

Dieser "Dank an die Antifaschisten" wurde auch dem Freiwaldauer Fachlehrer Josef Nitsche zuteil, der - obwohl im Besitze einer Bestätigung der Widerstandsbewegung, dass er sich antifaschistisch betätigt hatte - allein deshalb, weil er als Offizier der Deutschen Wehrmacht gedient hatte, im Lager Dobrugka gepeinigt und zusammengeschlagen wurde; er und weitere sechs seiner Leidensgenossen tranken dort Ende 1946 in ihrer Verzweiflung Holzspiritus, um ihrem qualvollen Dasein ein Ende zu setzen.

Leopold Grünwald listet neben Eduard Zorn und Josef Nitsche auch Josef Peschke (KZ Buchenwald) auf. Sicherlich waren noch weitere Sozialdemokraten im Widerstand tätig – ihre Geschichten müssen noch erzählt werden!

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