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Familien in großer Geschichte

Veröffentlicht am 28.05.2022 in Allgemein

Die Steinmetze in Žulová - der Vater Josef Menzel in der mittleren Reihe, zweiter von rechts (Foto: Edgar Menzel)

 

Josef Menzel aus Stillstand/Zastávka im Altvatergebirge

Beim Frühjahrsseminar 2022 der Seliger-Gemeinde in Bad Alexandersbad präsentierte der Frankfurter Theaterregisseur Wolfgang Spielvogel seinen Dokumentarfilm „Manchmal ist es schön, mit diesen Menschen zu sprechen - Deutsch-tschechische Geschichten jenseits von schwarz und weiß”. Spielvogel berichtet in seinem Film über die Spurensuche nach seiner Herkunft: er wurde in Barzdorf bei Freiwaldau im Altvatergebirge am 30. August 1945 geboren. In dem Film wird auch die Geschichte von Edgar Menzel angesprochen, der 2015 die Geschichte seines Vaters Josef Menzel den jetzigen Bewohnern nahegebracht hatte. Josef Menzel wird hier als DSAP-Mitglied genannt. Die Seliger-Gemeinde verfügt über eine umfangreiche Datenbank ehemaliger DSAP-Mitglieder, in der Josef Menzel aber nicht aufgeführt ist – das ist soweit nicht verwunderlich, da die Datenbank vor allem Funktionäre enthält, die in entsprechender Sekundärliteratur genannt werden. So gingen wir auf die Suche nach Josef Menzel – und wurden fündig. Edgar Menzel, heute wohnhaft im niederbayerischen Osterhofen, hat die Geschichte seines Vaters akribisch aufgearbeitet und auf der Internetseite pametnaroda.cz (Das Gedächtnis der Nation) ausführlich dargestellt. Wir haben mit Edgar Menzel Kontakt aufgenommen und er war einverstanden, dass wir die Geschichte von Josef Menzel hier vorstellen.

"Mein Vater war damals noch Steinschleifer in der Steinindustrie in Friedeberg. Er war in der Partei DSAP engagiert und hat als Ortsvorsitzender an den Chef dieser Partei in Freiwaldau ein Telegramm geschickt, sinngemäß ´Lasst euch nicht einwickeln, macht nicht mit bei dieser Geschichte, das ist nicht das Richtige, lasst die Finger davon!´ Ein Rivale hat das Telegramm jedoch abgefangen und hat es den Gestapo-Beamten zugespielt. Also kam eine Vorladung. `Herr Menzel, kommen Sie mal nach Freiwaldau` hieß es. ´Was ist los mit Ihnen?´ - Nichts Besonderes sagte er ihnen. Sie haben ihn später wieder heimgeschickt. Zwei Wochen später kam wieder etwas, wieder eine Befragung, und dann wurde er noch mal verhört. Der Verhörende Gestapomann sagte: ´Herr Menzel, tut mir leid, ich kann jetzt nichts finden, was wirklich gegen Sie spricht. Aber warum haben Sie denn zu den Tschechen gehalten, wie können Sie bloß so unvernünftig sein? Es tut mir leid, ich kann für Sie nichts machen´. Und hat ihn heimgeschickt. Wieder zwei, drei Wochen später kamen zwei Gestapo-Beamte in den langen grauen Mänteln mit Hüten: ´Herr Menzel, kommen Sie mit´, und haben ihn nach Freiwaldau abgeführt. Er hat eine Postkarte geschickt: ´Ich bin da und da in Freiwaldau und ich melde mich wieder, wenn wieder was ist´. Und dann war er weg", so Edgar Menzel in seiner Erzählung.

Josef Menzel war der zweitälteste von vier Kindern. Er wurde 1908 in Voigst-Krosse/Fojtova Kraš geboren. Sein Vater Ferdinand Menzel kommt aus Pilzberg, erlernte das Müller-Handwerk und zog dann in die Gegend von Weidenau, wo er seine Frau Marie, geb. Mücke, kennenlernte. Ferdinand Menzel fiel im Jahre 1916 im Ersten Weltkrieg, womit für die Familie eine schwierige Zeit begann. Schließlich heiratete Marie Menzel im Jahre 1923 ihren zweiten Mann und es gelang ihr das Haus Nr. 11 im Stillstand/Zastávka im Reichensteiner Gebirge zu kaufen. In dieser Zeit gehörte Stillstand zu der drei Kilometer entfernten Gemeinde Sörgsdorf/Uhelná und hatte nicht einmal 40 von Einwohner deutscher Nationalität.

In der Vorkriegszeit war es für Josef Menzel immer schwer eine Arbeit zu finden. Er hat oft die Arbeitsstellen gewechselt, am längsten war er von 1930 bis 1938 in der Steinindustrie in Friedeberg (Žulová) als Steinschleifer beschäftigt. Als Arbeiter begann er mit den _Werten und   Idealen der Deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei (DSAP) zu sympathisieren und wurde Mitglied, Ortsvorsitzender in der Ortschaft Stillstand Josef Menzel lernte seine zukünftige Frau Anna in Stillstand im Jahre 1933 kennen, als sie dort als Haushaltshilfe beim Schuhmachermeister Emil Böse antrat. Anna Wolf wurde 1907 als die älteste von drei Kindern der alleinstehenden Frau Maria Wolf in Weißwasser geboren. Ihr Vater ist unbekannt. Als Josef Menzel im Juli 1935 Anna Wolf heiratete, kaufte er seiner Mutter das Haus ab. In einer Hälfte wohnte die neue Familie und in der zweiten Hälfte die Mutter mit ihrer zweiten Familie blieb.

Nachdem Hitler in Deutschland die Macht ergriff, setzte sich unter den Sudeten unter kräftiger Unterstützung von Konrad Henlein das Stichwort „Heim ins Reich“ durch. Josef Menzel reagierte auf diese Ereignisse mit dem oben erwähnten Telegramm an den Vorsitzenden der Sozialdemokraten in Freiwaldau/Jeseník. Damit fingen für ihn vier Jahre in den Konzentrationslagern Dachau, Buchenwald und Mauthausen an, wo er als Arbeiter und Steinschleifer eingesetzt wurde. Zu Weihnachten 1942 wurde Josef Menzel aus dem Konzentrationslager entlassen, die Familie verbrachte die Festtage zusammen, aber kurz danach wurde er in das Sudetenländische Treibstoffwerk in Maltheuern bei Brüx/Most geschickt, wo man Benzin und Diesel produzierte, und wo er bis zum Kriegsende gefährliche Jahre in ständiger Bedrohung von Fliegerangriffen erlebte. Nach dem Zusammenbruch musste sich Josef Menzel mit einem Kumpel von Brüx nach Hause durchschlagen.

Nach dem Kriegsende, als der Vater von Brüx zurückkam, durchlebte die Familie paradoxer Weise eine gute Zeit unter tschechischer Verwaltung. „Mein Vater versuchte den Tschechen klarzumachen, dass er ein alter Nazigegner ist und dass er mehr auf der Seite der Tschechen steht als auf der der alten deutschen Nazis. Dann haben wir auch recht gut gelebt, so ein Jahr ungefähr“, erinnert sich Edgar Menzel. Doch im August 1946 musste auch die Familie Menzel ihre Heimat verlassen. Als Antifaschist organisierte der Vater einen freiwilligen Transport für Nazigegner und Christen u. a. nach Deutschland.

Freiwiliger Transport für Nazigegner

Edgar Menzel erinnert sich, wie sich Stillstand entvölkerte. „Man sah: der ist wieder weg, der ist wieder weg und der ist wieder weg und so waren wir immer wenigerAuch meine Nachbarsfreunde. Und am Schluss waren nur noch wir da.“ Allerdings als schon klar war, dass die Deutschen „raus müssen“, meldeten sich die vom Nazi-Regime verfolgten Deutschen. Sie wollten nicht als Vertriebene gehen, sondern freiwillig, in Ehren. „Dann hieß es: gut, macht das, ihr kriegt so viele Leute genehmigt wie ihr braucht, Eisenbahnwagon dazu, wir stellen sogar die Transporte zusammen und ihr, die alten Antifaschisten, könnt euch selber organisieren und raus gehen, wie ihr es für richtig haltet.“  Josef Menzel kümmerte sich um die Leute im Kreis Freiwaldau. Jeder, der mit diesem Transport raus wollte, sollte sich bei ihm melden. Alle, die nachweisen konnten, dass sie entweder Widerstand leisteten, oder zumindest keine Nazianhänger, oder gute Christen waren, schrieb Josef Menzel mit seinen Kollegen auf der Liste. Diese ausgewählten Menschen konnten einpacken, was sie wollten (einschließlich Möbel usw.) und das Gepäck nach Jauernig (im Fall von Familie Menzel) zum Bahnhof bringen. Von Jauernig fuhren ein paar Waggons nach Freiwaldau (Anm.: eher Nieder-Lindewiese) und dort wurde der ganze Transport zusammengestellt. Edgar Menzel schätzt den Transport auf etwa 10 Waggons für Gepäck und 10 Waggons für Personen. Der Transport wurde nach Aussage von Edgar Menzel im August 1946 abgefertigt. Er erinnert sich noch, dass er die Reise als kleine Junge genoss.

Und so kam die Familie Menzel durch Tschechien, über Furth im Wald, Regensburg in Bayern – Landkreis Wasserburg am Inn – an. Die Familie Menzel lebte mehrere Jahre auf einem Bauernhof Eschelbach zusammen mit der Bauernfamilie. Sie wurden gut empfangen und integrierten sich schnell. Josef Menzel war in Bayern als „Flüchtlingsobmann” tätig. Zuerst übte er diese Funktion ehrenamtlich aus, später gelang es ihm eine Festeinstellung als Angestellter in Landratsamt Wasserburg am Inn zu bekommen, wo er bis in den Ruhestand arbeitete. 1954 zog die Familie Menzel in ein neugebautes Haus in Wasserburg am Inn um. Zwei Jahre später starb die Mutter Anna Menzel an Krebs. Josef Menzel suchte nach einiger Zeit eine neue Partnerin, die er in dem Kreis der in 1946 Ausgesiedelten fand. Er heiratete schließlich Hedel Bayer ursprünglich aus Lindewiese/Lipová-Lázně.

Josef Menzel im Büro – (Foto: Edgar Menzel)

 

Edgar Menzel wurde am 12. Dezember 1936 in Stillstand/Zastávka geboren. Menzel ist pensionierter Lehrer, ist verheiratet, hat zwei Töchter und fünf Enkeltöchter und lebt in Osterhofen. Edgar Menzel erlebte also die Mehrheit seiner Kindheit in Stillstand ohne seinen Vater. An seine Kindheit erinnert sich Edgar Menzel gerne. Als Einzelkind wurde er von allen Seiten umschwärmt. Er besuchte die Schule in Sörgsdorf/Uhelná. Zu seinen täglichen Tätigkeiten zu Hause gehörten Ziegenhüten, Aushilfe mit landwirtschaftlichen Arbeiten, Pflücken von Erdbeeren und Heidelbeeren, welche seine Großmutter anbaute, Sammeln von Pilzen und natürlich Spielen mit Freunden. In Stillstand wurde der Krieg eher passiv erlebt, ab und zu sah man Männer in Uniform der Wehrmacht, die Kinder spielten Soldaten und manchmal hörte man Flieger und das war aus der Sicht des kleinen Edgars alles.

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