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seliger-online 03.05.2023

Veröffentlicht am 04.05.2023 in Allgemein

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Geblieben, um zu bleiben …

seliger-online diskutiert mit dem Präsidenten der Landesversammlung der deutschen Vereine in der Tschechischen Republik.

Bei der zweiten seliger-online-Ausgabe 2023 konnten sich 15 Teilnehmer von München bis Prag und von Berlin bis Brünn am 3. Mai im Gespräch mit Martin Dzingel, dem Präsidenten der Landesversammlung der deutschen Vereine in der Tschechischen Republik, unter dem Motto „Geblieben, um zu bleiben“, über die Arbeit Landesversammlung, der Dachorganisation der 22 deutschen Vereine, informieren.

Martin Dzingel, geboren 1975, ist tschechischer Sprachwissenschaftler und Repräsentant der deutschsprachigen Minderheit in der Tschechischen Republik. Die Bundesvorsitzende der Seliger-Gemeinde Christa Naaß moderierte die Online-Veranstaltung. Im Anschluss folgte die ´Abendschule´ mit Dr. Thomas Oellermann zum Thema: „Kulturelle Arbeit in der sudetendeutschen Sozialdemokratie“.

Christa Naaß begrüßte eingangs den Gesprächspartner Martin Dzingel und stellte ihn kurz vor. Dzingel (*1975) wuchs in Rýmařov (Römerstadt) im Altvatergebirge in einer deutschsprachigen Familie auf. Schon während des Studiums der Sprachwissenschaften in Pardubice (Pardubitz) und Brno (Brünn) engagierte er sich für die deutsche Minderheit. Er ist Gründer der Jugend- und Kulturorganisation der Landesversammlung der deutschen Vereine in Tschechien - JUKON. 1998 wurde er in das Präsidium der Landesversammlung, der größten Dachorganisation der deutschen Minderheit in der Tschechischen Republik, gewählt und ist seit 2001 deren Geschäftsführer, seit 2010 auch ihr ehrenamtlicher Präsident. Er vertritt mit großem Engagement die Interessen der deutschen Minderheit in Tschechien. Dabei achtet er stets auf die Verständigung mit der tschechischen Mehrheitsbevölkerung. Als tschechischer Staatsbürger bringt er sich somit aktiv in die tschechische Gesellschaft ein.

„Die Muttersprache ist eine Herzenssprache“

Martin Dzingel ergänzte seine Vorstellung mit der Geschichte seines Großvaters, der als Mitglied der DSAP und Antifaschist der Vertreibung entging, und seiner Großmutter, die als Facharbeiterin gerade noch vor der Aussiedlung „vom Zugwaggon heruntergeholt wurde“. Sie hatten fünf Kinder und viele Enkel, darunter Martin und seinen Bruder. Sein gesellschaftliches Engagement habe er aus dem deutschsprachigen Elternhaus übernommen, so Dzingel, der betonte, dass für ihn die „Muttersprache eine Herzenssprache“ sei und einem jeden die Identität vorgebe. So sei es nur verständlich, dass er sich auch der deutschen Kultur in seinem Heimatland Tschechien verschrieben habe. Es sei ihm ein wichtiges Anliegen, sich in seinem Amt vor allem für die Förderung und den Erhalt der deutschen Sprache und Kultur bei der jüngeren Generation einzusetzen, so Dzingel weiter.

Seit 2012 organisiert er in einer Partnerschaft mit dem tschechischen Außenministerium eine Konferenz für die deutsche Minderheit, die alle zwei Jahre stattfindet und sich dem binationalen Dialog widmet. Weiterhin sitzt im Aufsichtsrat der Grundschule der Deutsch-Tschechischen Verständigung und des Thomas-Mann-Gymnasiums in Prag, deren Träger die Landesversammlung ist. Er gehört zum Rat für nationale Minderheiten der tschechischen Regierung und ist im Beirat des Deutsch-Tschechischen Diskussionsforums. Am 23. September 2020 erhielt Martin Dzingel als Präsident der Landesversammlung der deutschen Vereine in der Tschechischen Republik e.V., für seine Verdienste um die deutsch-tschechischen Beziehungen das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.

Die Nachkommen der „verbliebenen Deutschen“ wird auf ca. 250.000 geschätzt

Auf die Frage nach der Anzahl der deutschstämmigen Bevölkerung in der Tschechischen Republik, erklärte Dzingel, dass sich aufgrund der alle zehn Jahre stattfindenden Volkszählung derzeit offiziell rund 25.000 Menschen der deutschen Minderheit zurechneten. Diese Zahl sei in den vergangenen Dekaden immer weiter zurückgegangen. Waren es bei der ersten Zählung nach dem Fall des Eisernen Vorhangs noch 90.000 Menschen, so sank die Zahl bereits 2001 auf 50.000. Dzingel schätzt die Zahl der Nachkommen der ehemalig 250.000 Deutschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg in der Tschechoslowakei verblieben sind, auf ebenfalls rund 250.000. „Es war nicht immer ungefährlich, sich als „Deutsche“ zu outen“, so Dzingel. So war es den Deutschen vor der Wende nur entlang der DDR-Grenze möglich, sich im deutschen Kulturverband zu betätigen. Auch heute bestehen noch immer viele Ressentiments gegen Deutsche und vor allem Sudetendeutsche. Viele Menschen hätten ihre deutsche Identität aber auch verloren, weil sie in die tschechische Gesellschaft assimiliert wurden, in Mischehen lebten und nur noch tschechisch sprechen. Dzingel zeigte sich aber optimistisch, die deutsche Identität und Kultur in Tschechien bewahren zu können, da aufgrund einer Kampagne der Landesversammlung sich wieder mehr und vor allem jüngere Menschen (16.000 von den 25.000 genannten) zu ihrer deutschen Abstammung bekennen würden. So seien derzeit rund 10.000 Personen in der Landesversammlung (=7.000) oder den 1200 örtlichen Kulturvereinen organisiert.

Zwei deutsche Schulen in Prag

Anschließend stellte Martin Dzingel die Organisation der Landesversammlung sowie die Finanzierungsmöglichkeiten seiner Organisation vor. Auch das Presseorgan der Landesversammlung, das „Landesecho“ wurde angesprochen. Ein weiteres Thema waren die beiden Schulen, die Grundschule der Deutsch-Tschechischen Verständigung und des Thomas-Mann-Gymnasiums in Prag, deren Träger die Landesversammlung ist. Hier würden nicht nur deutsche Schüler*innen von deutschen Lehrer*innen unterrichtet, sondern es handele sich um internationale Schulen mit gemischten Ethnien aber einem in Tschechien und Deutschland anerkannten Abschluss. Einziger Wehrmutstropfen, so Dzingel, sei die Tatsache, dass die neue tschechische Regierung die deutsche Sprache als 2. Fremdsprache nicht weiterführen wolle und allgemein das Englische bevorzugt werde. Da das Nachbarland Deutschland der wichtigste Handelspartner der Tschechischen Republik sei, müsse im grenzüberschreitenden Handel und Arbeitsmarkt unbedingt weiter auf die Vermittlung der deutschen Sprache gesetzt werden.

Martin Dzingel stellte anschließend ein aktuelles Projekt der Landesversammlung zum Erhalt und Schutz deutscher Gräber in der Tschechischen Republik vor. Uli Miksch regte dazu an, sich zu bemühen, dass das Grab von Josef Seliger in Wisterschan als Kulturdenkmal anerkannt werde.

Europäisches Netzwerk der deutschen Minderheiten

Abschließend wurden die Einflüsse der unterschiedlichen Regierungen auf das Verhältnis zu den Deutschstämmigen in der Tschechischen Republik und die europäische Zusammenarbeit nicht nur der deutschen Minderheit besprochen. Martin Dzingel verwies dazu auf ein weltweit existierendes Netzwerk der deutschen Minderheiten unter der Obhut der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Minderheiten (AGDM) in Berlin sowie den Schutz der Minderheiten aufgrund der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen bzw. des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten des Europarats.

In der Abendschule zu den Grundlagen der Geschichte der sudetendeutschen Sozialdemokratie referierte im Anschluss Dr. Thomas Oellermann zum Thema „Kulturelle Arbeit in der sudetendeutschen Sozialdemokratie“.

Das Gespräch mit Martin Dzingel in der Reihe seliger-online werden wir auf unserem YOUTUBE-Kanal präsentieren, die Abendschule können Sie jederzeit als Podcast anhören.

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