Studienfahrt der Seliger-Gemeinde 2024
Mit Unterstützung des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds hat die Seliger-Gemeinde vom 22. bis 25. August 2024 eine Studienfahrt nach Böhmen unternommen und dabei mehrere Anlässe miteinander verbunden.
Studienfahrt der Seliger-Gemeinde 2024
Mit Unterstützung des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds hat die Seliger-Gemeinde vom 22. bis 25. August 2024 eine Studienfahrt nach Böhmen unternommen und dabei mehrere Anlässe miteinander verbunden.
Zuerst veranstaltete die Masaryk-Akademie in Kooperation mit dem Prager Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung und dem Verlag Burian a Tichák, der auch die im Exil in Rom 1971 gegründete Zeitschrift Listy noch immer herausgibt, eine Buchpremiere, eine „Buchtaufe“ wie man im Tschechischen sagt. Die tschechische Übersetzung des Anti-Kriegsromans von Josef Hofbauer aus dem Jahre 1930 „Der Marsch ins Chaos“, der die Erlebnisse eines einfachen Soldaten an der Isonzo-Front thematisiert und ein faktisches Pendant zu Erich-Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“ darstellt, wurde vorgestellt. Dazu reisten die drei Enkel von Josef Hofbauer aus Schweden an, wohin Hofbauer 1938 ins Exil geflüchtet war und wo seine Familie geblieben ist, die für diese Übersetzung auch noch die erhaltenen Teile des Tagebuchs zur Verfügung stellten, die als Anhang des tschechischen Buches mit abgedruckt wurden.
Der „Buchweihe“ schloss sich ein Gespräch mit dem stellvertretenden Parteivorsitzenden der tschechischen Sozialdemokraten und ehemaligen Außen- und Kulturminister der Tschechischen Republik, Lubomír Zaorálek, und dem stellvertretenden bayerischen SPD-Vorsitzenden Matthias Dornhuber über gegenwärtige Antworten auf die kriegerischen Konflikte, vor allem der Ukraine-Krieg und der aufgeflammte Konflikt in Nahost an. Es moderierte Patrik Eichler, Direktor der Masaryk-Akademie. Zaorálek, der das Buch, das zu den verbrannten Büchern 1933 gehört, eingehend studiert hatte, fühlte sich an die Erlebnisse seines Großvaters erinnert, an die Realität des Ersten Weltkriegs im „Braven Soldaten Schwejk“ des Jaroslav Hašek und eben an Remarques Welterfolg „Im Westen nichts Neues“. Im Gespräch der beiden Politiker überwog die Überzeugung, dass Politiker vor allem so agieren sollten, dass es zu keinem Krieg kommt, da die Folgen von kriegerischen Auseinandersetzungen verheerend seien. Da habe man in letzter Zeit viel falschgemacht und die Realitäten, insbesondere in Russland, nicht gesehen, nicht wahrhaben wollen.
Bei einem Besuch auf dem Neuen Jüdischen Friedhof, auf dem Franz Kafka und seine Eltern begraben liegen, besuchte die Gruppe der SG, zu der auch George Jaksch, der Sohn Wenzel Jakschs, gehörte, das Grab des in Auschwitz ermordeten Chefredakteurs des Sozialdemokrat, erschienen 1921 bis 1938 in Prag, Emil Strauß. Strauß hatte 1930 mit Josef Hofbauer die postume Biografie von Josef Seliger verfasst. Patrik Eichler führte auf dem angrenzenden Wolschaner Friedhof die Gruppe zu einigen bedeutenden tschechischen Sozialdemokraten der ersten Republik, darunter der 1926 verstorbene Vorsitzende Antonín Nemec, einer der fünf Gründungsväter der Tschechoslowakei, František Soukup, der 1940 an den Spätfolgen von Gestapo-Verhören verstarb und die Parteigeschichte in zwei dicken Bänden niedergeschrieben hatte.
In Ortsteil Holeschowitz suchte die Gruppe die letzten Wohnadressen von Wenzel Jaksch und Josef Hofbauer auf. Und begab sich dann zum Willy-Brandt-Park im sechsten Prager Bezirk, wo die SG eine Baumpatenschaft für Wenzel Jaksch und Josef Hofbauer übernahm. Beide Familien hatten dafür gespendet, und der Dezernent für Umwelt des 6. Bezirks, Dr. Petr Palacký, erinnerte an die weltoffene Ausrichtung seines Bezirks, der auf dem Weg zum Prager Flughafen liegt, und als studierter Historiker erinnerte er an die Verbindung Jakschs zu Willy Brandt, der ja in dessen Schattenkabinett 1961 Minister werden sollte. Und an die Trauerrede Brandts für Jaksch als gerade ins Amt gekommener Außenminister Westdeutschlands 1966. George Jaksch, der als rastloser Pensionär sich für die Artenvielfalt vor allem in Mittelamerika stark engagiert, sagte als Schlusswort: „Wir haben als Menschen und Sie als öffentliche Vertreter die Gelegenheit, mit kleinen und großen Maßnahmen zur Erhaltung der Natur beizutragen. Und das ist etwas, das uns verbindet. Das ist etwas, das ganz im Sinne von Wenzel Jaksch ist. Der kam aus den Waldgebieten Südböhmens. Er war der Natur sehr nah und verbunden.“
Im Haus der Minderheiten konnte die SG ihre Ausstellung „Böhmen liegt nicht am Meer“, die 24 Persönlichkeiten der Geschichte der DSAP und der Seliger-Gemeinde mit ihren durch Exil, Haft und Vertreibung geprägten Lebensläufen vorstellt, eröffnen, die auf großes Interesse und zahlreiche Nachfragen der Vernissage-Gästen stieß.
Eine Exkursion ins Prager Umland führte die Gruppe zu Orten, wo bekannte Persönlichkeiten, wie der Prager Deutsche und Olympionike Emmerich Rath oder der ins Exil gedrängte deutsche Sozialdemokrat Philipp Scheidemann, zeitweise lebten. Es folgte ein Besuch in Davle an der Moldau, wo die dortige Brücke über den Fluss im 1968 gedrehten US-amerikanischen Film „Die Brücke von Remagen“ die kriegswichtige Brücke über den Rhein darstellt, über die die Amerikaner im März 1945 leichter nach Osten vorstoßen konnten. Die Filmaufnahmen wurden von der sowjetischen Propaganda benutzt, um ihren Bürgern zu erklären, dass der Einmarsch in die Tschechoslowakei am 21. August 1968 notwendig gewesen sei, da ja schon die Amerikaner in die Tschechoslowakei eingefallen waren. Eine Lügengeschichte, von der man in Davle noch viele Zeugnisse findet, nicht zuletzt die Bahnhofskneipe „Remagen“.
Im Gebäude in Prag Karlín, wo sich ab 1933 einige Jahre der Sitz der deutschen sozialdemokratischen Exilorganisation Sopade befand, traf die Gruppe auf die Tochter von Wenzel Jaksch, Mary Jaksch, auf Petr Brod, Mitglied des Verwaltungsrates des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds, und auf Ladislav Cisar, der den Fluchtweg Wenzel Jakschs im März 1939 zu seinem Thema der Klärung gemacht hat und seit einigen Jahren bemüht ist, diese wichtige Persönlichkeit der ersten tschechoslowakischen Republik von tschechischer Seite zu würdigen.
Am Abfahrtstag fuhren einige Mitglieder der Gruppe noch nach Ústi nad Labem/Aussig, wo sie im Namen der SG des langjährigen Bürgermeisters der Stadt (1919–1938), Leopold Pölzl (1879–1944) an der Gedenktafel gedachten, die seit 1996 am Rathaus in Ústi angebracht ist. Der Sozialdemokrat war vor 80 Jahren am 1. September 1944 unter nie ganz geklärten Umständen im Krankenhaus gestorben. Als Pölzl beerdigt wurde, verboten die NS-Behörden die Teilnahme an den Trauerfeierlichkeiten. Dennoch kamen mehrere tausend Menschen aus Aussig und Umgebung. Tomáš Okurka vom Stadtmuseum Ústi würdigte Pölzl als Städtebauer: „Er tat viel für den Wohnungsbau. Aussig wurde in der gesamten Zeit der Ersten Republik durch seine Arbeit geprägt. Pölzl hatte in den 1920er Jahren große Verdienste um den Bau von Sozialwohnungen und um die Unterstützung des Genossenschaftswohnbaus. Die Häuser, die unter Leopold Pölzl von dessen Stadtarchitekt Franz Josef Arnold errichtet wurden, gelten heutzutage als gute Adressen. Sie befinden sich im Stadtteil Klíše und auch am Schreckensteiner Ufer. Bis heute werden noch weitere Bauten genutzt, die unter Leopold Pölzl entstanden sind. Dazu gehören die Beneš-Brücke, mehrere Schulen sowie die öffentlichen Bäder in Schreckenstein und in Klíše. Dies alles entstand in den 1920er und 1930er Jahren, als Pölzl die Stadt verwaltete und dabei schwierige Probleme zu lösen hatte, wie die Folgen der Weltwirtschaftskrise. Gerade Aussig war stark von der Krise betroffen.“ Ulrich Miksch
Forum Bad Alexandersbad – die Seliger Gemeinde ging 2018 mit einem neuen Diskussionsformat an den Start
Das Alexandersbader Forum befasst sich mit aktuellen gesellschaftspolitischen Themen im deutsch-tschechischen Dialog.
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Da immer größeres Interesse deutscher und tschechischer Leserinnen und Leser für diese Publikationen erkennbar ist, erweitert die Seliger-Gemeinde ihr Portfolio um das Format „Lorem ipsum“, das die Lust auf deutsch-tschechische Literatur aufgreift und unterstützen will.
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